19. Dezember 2012

ESM und EZB – endlich die Lösung der Krise in der Euro-Zone?

Markt­kom­mentar der quirin bank AG / 4. Quartal 2012

Autor: Philipp Dobbert (Volks­wirt­schaft) • quirin bank AGDie letzten Wochen haben wich­tige Entschei­dungen histo­ri­schen Ausmaßes im Hinblick auf die Euro-Krise mit sich gebracht. Die Euro­päi­sche Zentral­bank (EZB) hat ange­kün­digt, unter bestimmten Voraus­set­zungen Staats­an­leihen der Euro-Krisen­staaten anzu­kaufen und so Finanz­markt­tur­bu­lenzen in diesem Bereich einzu­grenzen. Wenig später entschied das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ruhe, dass der perma­nente Rettungs­schirm ESM – eben­falls unter bestimmten Voraus­set­zungen – mit dem Grund­ge­setz vereinbar ist. Der euro­päi­sche Fiskal­pakt, der eine Harmo­ni­sie­rung der Finanz­po­litik in den Euro-Mitglieds­staaten zum Ziel hat, ist demnach sogar ohne Ände­rungen verfas­sungs­kon­form. Viel ist in der Folge darüber disku­tiert worden, was diese Entschei­dungen mittel- bis lang­fristig für die Infla­tion oder die Belas­tung des deut­schen Staats­haus­halts bedeuten. Etwas weniger Beach­tung fand hingegen die mindes­tens ebenso inter­es­sante Frage: Was bedeuten die Entschei­dungen für die unmit­tel­baren Perspek­tiven des Euro-Raums? Ist die Krise nun viel­leicht sogar endlich gelöst?

Die Details der EZB- und ESM-Entschei­dung.Was ist konkret beschlossen worden? Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat mit Blick auf den Euro­päi­schen Stabi­li­täts­me­cha­nismus (ESM) verfügt, dass Deutsch­land nur unter zwei Vorbe­din­gungen den entspre­chenden Vertrag rati­fi­zieren darf. Erstens darf die Haftungs­summe, mit der sich Deutsch­land am perma­nenten Rettungs­schirm betei­ligt, den derzeit fest­ge­legten Betrag von 190 Mrd. Euro keines­falls über­steigen. Passagen des ESM-Vertrags, die zumin­dest nicht ausschließen, dass die Haftungs­summe in Nach­hinein auch ohne neuer­liche Zustim­mung des Bundes­tags und des Bundes­rats erhöht werden kann, sind in diesem Sinne durch eine ergän­zende vertrag­liche Rege­lung unwirksam zu machen. Zwei­tens dürfen die Rege­lungen zur Vertrau­lich­keit im ESM-Vertrag nicht dazu führen, dass die Infor­ma­ti­ons­pflichten gegen­über den beiden deut­schen Legis­la­tiv­kam­mern ausge­he­belt werden.

Für beide Vorbe­halte hat man offenbar bereits eine Lösung zur Umset­zung gefunden. Inso­fern steht dem Inkraft­treten des perma­nenten Rettungs­schirms nichts mehr im Wege. Er wird seine Vorgän­gerin, die Euro­päi­sche Finanz­sta­bi­li­sie­rungs-Fazi­lität (EFSF), auf Sicht ablösen. Hier­durch soll zwei­erlei erreicht werden:

Erstens soll das höhere Volumen des neuen Rettungs­fonds auch die Inan­spruch­nahme durch größere Volks­wirt­schaften, wie etwa Spanien, ermög­li­chen. Zwei­tens wird durch den Wegfall einer zeit­li­chen Begren­zung des Rettungs­schirms erreicht, dass es keine Unsi­cher­heit über eine Zeit danach mehr gibt. Den Finanz­märkten soll so signa­li­siert werden, dass die euro­päi­sche Politik nun über ein Instru­ment verfügt, das durch Umfang und Ausge­stal­tung in der Lage ist, auch weiterhin in Turbu­lenzen gera­tene Mitglieds­staaten finan­ziell zu unter­stützen – ganz unab­hängig davon, wie lange diese Staaten für eine eigen­stän­dige Rück­kehr an die Kapi­tal­märkte benö­tigen.

Ganz wesent­lich ist diese Entschei­dung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts auch für die Effek­ti­vität der EZB-Politik. Die EZB hat ange­kün­digt, ihr Programm zum Ankauf von Anleihen euro­päi­scher Krisen­staaten wieder aufzu­nehmen und nöti­gen­falls in unbe­schränktem Umfang tätig zu werden. Bereits jetzt befinden sich Peri­pherie-Staats­an­leihen im Gegen­wert von etwas mehr als 200 Mrd. Euro in den Handels­bü­chern der Zentral­bank. Anders als diese bereits getä­tigten Käufe soll das nun ange­kün­digte Programm aller­dings deut­lich trans­pa­renter sein und auch nur unter bestimmten Voraus­set­zungen durch­ge­führt werden. Der EZB-Rat hat sich insbe­son­dere darauf geei­nigt, nur dann am jewei­ligen Staats­an­lei­he­markt einzu­greifen, wenn das betref­fende Land zuvor einen Hilfs­an­trag an den perma­nenten Rettungs­schirm ESM (oder dessen Vorgän­gerin EFSF) gestellt hat. Das bedeutet gleich­zeitig, dass die jewei­lige Regie­rung ein Anpas­sungs­pro­gramm ins Leben rufen muss, das struk­tu­relle Schwä­chen im Staats­sektor und Probleme bei der inter­na­tio­nalen Wett­be­werbs­fä­hig­keit angehen soll. Also: ohne ESM keine EZB-Inter­ven­tion.

Eigent­lich gibt es zwei Euro-Krisen.Wie tragen nun die beiden Entschei­dungen zu einer Lösung der Krise des Euro-Raums bei? Zur Beant­wor­tung dieser Frage ist es unab­dingbar, die Euro-Krise selbst genau zu analy­sieren. Hierbei fällt auf, dass es die Euro-Krise im Grunde gar nicht gibt und wir es viel­mehr mit zwei Euro-Krisen zu tun haben. Maßgeb­lich für diese Erkenntnis ist die Unter­schei­dung zwischen akuten und chro­ni­schen Symptomen bzw. Problemen der Euro-Krise.

Die akute Krise des Euro-Raums lässt sich am einfachsten mit der Befürch­tung von Inves­toren umschreiben, dass der gemein­same Währungs­raum mögli­cher­weise nicht mehr oder nicht mehr in der aktu­ellen Zusam­men­set­zung exis­tieren könnte.

Ganz konkret geht es um das Risiko, dass einzelne Staaten wie z. B. Grie­chen­land oder Spanien – aber etwa auch Deutsch­land – aus der Gemein­schafts­wäh­rung austreten. Noch größere Sorgen verbinden sich mit der Möglich­keit eines unkon­trol­lierten Zusam­men­bruchs der gesamten Währungs­union. Ausschlag­ge­bend für diese Risiken sind die Probleme einzelner Regie­rungen von Mitglieds­staaten der Euro-Zone, sich zu verkraft­baren Kondi­tionen Finanz­mittel an den Kapi­tal­märkten zu beschaffen. Denn dies schürt die Angst davor, dass es auch bei der Rück­zah­lung von bereits ausge­ge­benen Staats­an­leihen zu Liqui­di­täts­pro­blemen und somit zu Zahlungs­aus­fällen kommen könnte. Dieser Mecha­nismus aus Vertrau­ens­ver­lust und finan­zi­eller Schief­lage verstärkt sich selbst.

Die chro­ni­sche Krise fußt auf den unter­schied­li­chen Wirt­schafts­struk­turen in der Euro-Zone. Diese gab es natür­lich bereits vor der Einfüh­rung der Gemein­schafts­wäh­rung. Zu dieser Zeit wurden die Ungleich­ge­wichte (z. B. starke Export- oder Import­über­schüsse einzelner Nationen) aller­dings weit­ge­hend durch Wech­sel­kurs­be­we­gungen ausge­gli­chen.

Die Euro-Einfüh­rung hat diesen Korrek­turme­cha­nismus ausge­schaltet. Dies hat aller­dings nicht zu einer Über­win­dung der Unter­schiede, sondern sogar noch zu einer Verfes­ti­gung der struk­tu­rellen Diffe­renzen geführt. Die Gemein­schafts­wäh­rung hat die wirt­schaft­li­chen Unter­schiede in der Euro-Zone gewis­ser­maßen zemen­tiert. Die Folge ist, dass es heute umso dras­ti­scherer Anpas­sungs­pro­gramme bedarf, um die Hete­ro­ge­nität des Wirt­schafts­raums wenigs­tens in Grund­zügen der Homo­ge­nität des Währungs­raums anzu­passen. Alle Maßnahmen, die auf eine Lösung oder zumin­dest Entschär­fung der Euro-Krise abzielen, müssen also im Hinblick auf diese beiden Facetten der derzei­tigen Probleme hin unter­sucht werden – können sie zur Lösung der akuten und/oder der chro­ni­schen Probleme beitragen?

Die Lösung? Relativ schnell wird bei einer auf diese Weise durch­ge­führten Analyse deut­lich, dass es nicht die eine bahn­bre­chende Lösung für beide Problem­felder geben kann, die sich durch eine einzige Entschei­dung herbei­führen ließe. Viel­mehr bedürfte es für eine wirk­liche Lösung der Krise im Euro-Raum eines Maßnah­men­bün­dels, das die verschie­denen Aspekte der komplexen Krise berück­sich­tigt. Damit wird auch klar, dass die jüngsten Entschei­dungen die Euro-Krise eben­falls nicht gänz­lich werden lösen können. Denn sie beziehen sich beide ausschließ­lich auf den akuten Aspekt der Turbu­lenzen, nicht aber auf die chro­ni­schen Probleme.

Aller­dings hat insbe­son­dere die Ankün­di­gung der EZB tatsäch­lich eine neue Dimen­sion in der Krisen­be­kämp­fung eröffnet. Zwar hat die EZB auch schon in früheren Phasen Anleihen von klammen Euro-Staaten in ihre Bücher genommen. Dies geschah aber weit­ge­hend intrans­pa­rent und für Außen­ste­hende nicht nach­voll­ziehbar – viel­mehr gab es erst nach Abschluss der jewei­ligen Trans­ak­tion eine entspre­chende Infor­ma­tion, die keinen Aufschluss über die weiteren Absichten der EZB gab. Diesmal aber ist das Vorgehen der Zentral­bank von vorn­herein trans­pa­rent kommu­ni­ziert: Wenn ein Land der Euro-Zone die gestellten Anfor­de­rungen erfüllt, kann die EZB notfalls unbe­grenzt in den Anlei­he­markt eingreifen. Die EZB signa­li­siert damit unmiss­ver­ständ­lich: Der jewei­lige Markt wird im Zweifel voll­ständig kontrol­liert, eine Speku­la­tion dagegen kann nicht erfolg­reich sein, da die EZB im Euro-Raum über unbe­grenzte Mittel (Stich­wort: Geld­druck­ma­schine) verfügt.

Ein Blick auf die oben skiz­zierten Charak­te­ris­tika der akuten Euro-Krise zeigt, dass eine solche Ankün­di­gung der EZB – anders als die vorher­ge­henden, jeweils für sich genom­menen eher zaghaften Versuche – erst­mals das Zeug dazu hat, akute Befürch­tungen vor einem Zusam­men­bruch der Euro-Zone wirksam und für längere Zeit zu zerstreuen. Dies ändert aber nichts an zwei Tatsa­chen: Erstens geht diese Möglich­keit mit hohen Kosten einher. Nicht weniger als die Glaub­wür­dig­keit der EZB und damit auch die mittel­fris­tige Preis­ni­veau­sta­bi­lität stehen auf dem Spiel. Zwei­tens bieten EZB-Inter­ven­tionen keine Antwort auf die chro­ni­schen Probleme der gemein­samen Währung. Struk­tur­re­formen in den schwa­chen Euro-Staaten sind unab­dingbar. Dies hat die EZB zwar auch mit den Bedin­gungen, die sie für eine mögliche Inter­ven­tion stellt, berück­sich­tigt. Offen bleibt aller­dings, wie strin­gent diese Anfor­de­rungen letzt­lich umge­setzt werden.

Und auch die Entschei­dungen der letzten Wochen selbst könnten noch für einige Span­nung sorgen. So wird viel­fach außer Acht gelassen, dass das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt zunächst nur über Eilan­träge, nicht aber in der Haupt­sache entschieden hat. Hier ist nicht auszu­schließen, dass das Gericht bei seiner Entschei­dung auch die Anlei­he­käufe durch die EZB ins Visier nimmt und eine Unver­ein­bar­keit mit gesetz­li­chen Rege­lungen, etwa dem Verbot der Staats­fi­nan­zie­rung, iden­ti­fi­ziert. Das kraft­volle Krisen­in­stru­ment der EZB wäre umge­hend wieder stumpf. Einer wirk­li­chen Lösung der Euro-Krise ist man inso­fern zwar ein gutes Stück näher­ge­kommen, gleich­zeitig bleibt aber noch ein weiter Weg zu gehen. Und dieser Weg wird nicht weniger turbu­lent sein als der bislang zurück­ge­legte.