13. Mai 2012

Die kalte Progres­sion - und was sich dahinter verbirgt

Nach dem Grund­ge­danken des deut­schen Steu­er­sys­tems sollen starke Schul­tern mehr tragen als schwache. Daher ist der Einkom­men­steu­er­tarif progressiv ausge­staltet. Doch was heißt das eigent­lich? Und was verbirgt sich hinter der aktu­ellen Diskus­sion um die soge­nannte kalte Progres­sion?

Der Einkom­men­steu­er­tarif. Der deut­sche Einkom­men­steu­er­tarif beginnt bei 8.005 Euro mit 14 Prozent. Das heißt, dass das zu versteu­erndes Einkommen bis zu 8.004 Euro einkom­men­steu­er­frei bleibt. Ab 8.005 Euro greift der Staat mit einem stei­genden Steu­er­satz zu, der von 14 Prozent bis zu 42 bzw. 45 Prozent reicht. Je höher das zu versteu­ernde Einkommen ist, desto höher ist auch der Steu­er­satz. Das bedeutet, dass jemand der mehr Geld verdient, nicht nur absolut mehr Steuern bezahlt, sondern auch relativ, d.h. mit einem höheren Steu­er­satz besteuert wird. Prozen­tual gesehen bleibt ihm weniger Geld nach Steuern übrig als dem, der absolut weniger verdient. Dahinter steht der Gedanke, dass Menschen mit hohen Einkommen leis­tungs­fä­higer sind und entspre­chend auch höher besteuert werden können bzw. sollen. Ziel dieses progres­siven Steu­er­ta­rifs ist, dass eine Umver­tei­lung von besser zu schlechter verdie­nenden Bürgern statt­findet. Dieser soziale Gedanke findet sich auch in der deut­schen Verfas­sung, je nach Inter­pre­ta­tion mehr oder weniger stark ausge­prägt.

Die Progres­sion. Wenn im Rahmen des Einkom­men­steu­er­ta­rifs von Prozent­sätzen die Rede ist, wird damit in der Regel der Grenz­steu­er­satz gemeint. Der Grenz­steu­er­satz gibt an, wie hoch ein zusätz­lich verdienter Euro besteuert wird. Wenn man z.B. 10.000 Euro zu versteu­erndes Einkommen hat und es kommt ein Euro dazu, wird dieser Euro bei einem beispiel­haften Grenz­steu­er­satz mit 16 Prozent belegt. Dies bedeutet aber nicht, dass das gesamte zu versteu­ernde Einkommen mit 16 Prozent besteuert wird, sondern nur dieser eine zusätz­liche Euro. Der Steu­er­satz, der die Steu­er­rate für das gesamte zu versteu­ernde Einkommen angibt, ist der Durch­schnitts­steu­er­satz. Der Grenz­steu­er­satz ist also nur ein parti­eller Auszug aus der Angabe der Besteue­rung. In Deutsch­land ist der Einkom­men­steu­er­tarif so gestaltet, dass der Grenz­steu­er­satz von 14 Prozent bis zu 42 bzw. 45 Prozent ansteigt. Dies bedeutet, dass bis zu einer Höhe von 52.882 Euro der Grenz­steu­er­satz auf 42 Prozent ansteigt. Jeder zusätz­liche Euro ab 8.005 Euro wird folg­lich immer höher besteuert bis 52.882 Euro erreicht sind. Ab dieser Höhe greift der Staat konstant bis zu 250.730 Euro mit 42 Prozent zu; darüber hinaus sogar mit 45 Prozent, der soge­nannten Reichen­steuer. Da der Grenz­steu­er­satz, der Steu­er­satz mit dem zusätz­li­ches Einkommen besteuert wird, in bestimmten Einkom­mens­re­gionen immer weiter ansteigt, spricht man von Progres­sion.

Die kalte Progres­sion. Die tarif­li­chen Eckpfeiler, wann welcher Grenz­steu­er­satz einsetzt, sind im Einkom­men­steu­er­ge­setz als abso­lute Zahlen­werte fix. Steigt nun das Einkommen des Steu­er­pflich­tigen z.B. im Rahmen der Tarif­ver­hand­lungen für den Infla­ti­ons­aus­gleich, steigt auch der anzu­wen­dende Grenz­steu­er­satz. Jeder zusätz­liche Euro wird ja mit einem höheren Einkom­men­steu­er­satz belegt. Streng genommen handelt es sich bei den „zusätz­li­chen Euros“ aus den Tarif­ver­hand­lungen aber nicht um eine reale Einkom­mens­er­hö­hung, sondern meist nur um einen Infla­ti­ons­aus­gleich. Trotzdem greift der Staat mit einem höheren Steu­er­satz zu und erhält nicht nur absolut (aufgrund der Einkom­mens­er­hö­hung) sondern auch relativ (aufgrund des höheren Steu­er­satzes) mehr Steuern, obwohl der Steu­er­pflich­tige real, unter Berück­sich­ti­gung der Infla­tion, kein höheres Einkommen hat. Die Folge ist, dass er von seinem real unver­än­derten Einkommen mehr Steuern abgeben muss und somit netto und real weniger Einkommen hat als vor der Lohn­er­hö­hung. Dies ist die Folge der kalten Progres­sion, die im Grunde eine heim­liche Steu­er­erhö­hung darstellt.

Gegen­maß­nahmen der Bundes­re­gie­rung. Die Bundes­re­gie­rung hat aktuell ange­kün­digt, dass sie der kalten Progres­sion entgegen wirken will (

Quelle: Schutz vor versteckten
Steu­er­erhö­hungen – Maßnahmen gegen die kalte Progres­sion; Bundes­mi­nis­te­rium der Finanzen/Referat für Öffent­lich­keits­ar­beit). Die geplanten Maßnahmen haben ein Volumen von insge­samt sechs Milli­arden Euro pro Jahr. Sie werden 2013 und 2014 in zwei Schritten umge­setzt und umfassen folgende Eckpunkte:

  • Der Grund­frei­be­trag wird bis 2014 um insge­samt 350 Euro bzw. 4,4 Prozent auf 8.354 Euro ange­hoben.
  • Der Tarif­ver­lauf wird bis 2014 eben­falls um insge­samt 4,4 Prozent ange­passt.
  • Die Bundes­re­gie­rung wird des Weiteren künftig alle zwei Jahre über­prüfen, wie die kalte Progres­sion wirkt und ob nach­ge­steuert werden muss. Grund­frei­be­trag und Tarif­ver­lauf können daraufhin entspre­chend ange­passt werden

Fazit. Die kalte Progres­sion stellt seit Jahren eine verdeckte Steu­er­erhö­hung dar, die nicht gerecht­fer­tigt ist und vor allem vom Bürger weitest­ge­hend unbe­merkt bleibt. Eine stetige Anpas­sung der einkom­men­steu­er­ta­rif­li­chen Para­meter ist folg­lich nahezu jähr­lich erfor­der­lich, damit dem Bürger nicht weiter unbe­merkt höhere Steuern aufer­legt werden.