Die kalte Progression - und was sich dahinter verbirgt
Nach dem Grundgedanken des deutschen Steuersystems sollen starke Schultern mehr tragen als schwache. Daher ist der Einkommensteuertarif progressiv ausgestaltet. Doch was heißt das eigentlich? Und was verbirgt sich hinter der aktuellen Diskussion um die sogenannte kalte Progression?
Der Einkommensteuertarif. Der deutsche Einkommensteuertarif beginnt bei 8.005 Euro mit 14 Prozent. Das heißt, dass das zu versteuerndes Einkommen bis zu 8.004 Euro einkommensteuerfrei bleibt. Ab 8.005 Euro greift der Staat mit einem steigenden Steuersatz zu, der von 14 Prozent bis zu 42 bzw. 45 Prozent reicht. Je höher das zu versteuernde Einkommen ist, desto höher ist auch der Steuersatz. Das bedeutet, dass jemand der mehr Geld verdient, nicht nur absolut mehr Steuern bezahlt, sondern auch relativ, d.h. mit einem höheren Steuersatz besteuert wird. Prozentual gesehen bleibt ihm weniger Geld nach Steuern übrig als dem, der absolut weniger verdient. Dahinter steht der Gedanke, dass Menschen mit hohen Einkommen leistungsfähiger sind und entsprechend auch höher besteuert werden können bzw. sollen. Ziel dieses progressiven Steuertarifs ist, dass eine Umverteilung von besser zu schlechter verdienenden Bürgern stattfindet. Dieser soziale Gedanke findet sich auch in der deutschen Verfassung, je nach Interpretation mehr oder weniger stark ausgeprägt.
Die Progression. Wenn im Rahmen des Einkommensteuertarifs von Prozentsätzen die Rede ist, wird damit in der Regel der Grenzsteuersatz gemeint. Der Grenzsteuersatz gibt an, wie hoch ein zusätzlich verdienter Euro besteuert wird. Wenn man z.B. 10.000 Euro zu versteuerndes Einkommen hat und es kommt ein Euro dazu, wird dieser Euro bei einem beispielhaften Grenzsteuersatz mit 16 Prozent belegt. Dies bedeutet aber nicht, dass das gesamte zu versteuernde Einkommen mit 16 Prozent besteuert wird, sondern nur dieser eine zusätzliche Euro. Der Steuersatz, der die Steuerrate für das gesamte zu versteuernde Einkommen angibt, ist der Durchschnittssteuersatz. Der Grenzsteuersatz ist also nur ein partieller Auszug aus der Angabe der Besteuerung. In Deutschland ist der Einkommensteuertarif so gestaltet, dass der Grenzsteuersatz von 14 Prozent bis zu 42 bzw. 45 Prozent ansteigt. Dies bedeutet, dass bis zu einer Höhe von 52.882 Euro der Grenzsteuersatz auf 42 Prozent ansteigt. Jeder zusätzliche Euro ab 8.005 Euro wird folglich immer höher besteuert bis 52.882 Euro erreicht sind. Ab dieser Höhe greift der Staat konstant bis zu 250.730 Euro mit 42 Prozent zu; darüber hinaus sogar mit 45 Prozent, der sogenannten Reichensteuer. Da der Grenzsteuersatz, der Steuersatz mit dem zusätzliches Einkommen besteuert wird, in bestimmten Einkommensregionen immer weiter ansteigt, spricht man von Progression.
Die kalte Progression. Die tariflichen Eckpfeiler, wann welcher Grenzsteuersatz einsetzt, sind im Einkommensteuergesetz als absolute Zahlenwerte fix. Steigt nun das Einkommen des Steuerpflichtigen z.B. im Rahmen der Tarifverhandlungen für den Inflationsausgleich, steigt auch der anzuwendende Grenzsteuersatz. Jeder zusätzliche Euro wird ja mit einem höheren Einkommensteuersatz belegt. Streng genommen handelt es sich bei den „zusätzlichen Euros“ aus den Tarifverhandlungen aber nicht um eine reale Einkommenserhöhung, sondern meist nur um einen Inflationsausgleich. Trotzdem greift der Staat mit einem höheren Steuersatz zu und erhält nicht nur absolut (aufgrund der Einkommenserhöhung) sondern auch relativ (aufgrund des höheren Steuersatzes) mehr Steuern, obwohl der Steuerpflichtige real, unter Berücksichtigung der Inflation, kein höheres Einkommen hat. Die Folge ist, dass er von seinem real unveränderten Einkommen mehr Steuern abgeben muss und somit netto und real weniger Einkommen hat als vor der Lohnerhöhung. Dies ist die Folge der kalten Progression, die im Grunde eine heimliche Steuererhöhung darstellt.
Gegenmaßnahmen der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat aktuell angekündigt, dass sie der kalten Progression entgegen wirken will (
Quelle: Schutz vor versteckten
Steuererhöhungen – Maßnahmen gegen die kalte Progression; Bundesministerium der Finanzen/Referat für Öffentlichkeitsarbeit). Die geplanten Maßnahmen haben ein Volumen von insgesamt sechs Milliarden Euro pro Jahr. Sie werden 2013 und 2014 in zwei Schritten umgesetzt und umfassen folgende Eckpunkte:
- Der Grundfreibetrag wird bis 2014 um insgesamt 350 Euro bzw. 4,4 Prozent auf 8.354 Euro angehoben.
- Der Tarifverlauf wird bis 2014 ebenfalls um insgesamt 4,4 Prozent angepasst.
- Die Bundesregierung wird des Weiteren künftig alle zwei Jahre überprüfen, wie die kalte Progression wirkt und ob nachgesteuert werden muss. Grundfreibetrag und Tarifverlauf können daraufhin entsprechend angepasst werden
Fazit. Die kalte Progression stellt seit Jahren eine verdeckte Steuererhöhung dar, die nicht gerechtfertigt ist und vor allem vom Bürger weitestgehend unbemerkt bleibt. Eine stetige Anpassung der einkommensteuertariflichen Parameter ist folglich nahezu jährlich erforderlich, damit dem Bürger nicht weiter unbemerkt höhere Steuern auferlegt werden.