„Bestechung ist klare Wettbewerbsverzerrung“
Lutz Tesch ist Geschäftsführer der HSP ADVICE Unternehmensberatung GmbH & Co. KG, die im Bereich der Externen Revision u. a. Prüfungen zur Ermittlung von Korruptionsrisiken durchführt und Unternehmen hilft, Prozesse zur Korruptionsvermeidung aufzusetzen. Im Gespräch berichtet er über die Normalität von unerlaubten Zuwendungen in der Geschäftswelt und gibt Tipps zur Prävention.
Herr Tesch, die Zahlen zur Wirtschaftskriminalität in Deutschland sind überraschend erschreckend. Sind wir so ein korruptes Land?
Lutz Tesch: Das kommt auf die Betrachtungsweise an. Wenn wir das Wort Korruption hören, denken wir schnell an Länder, in denen man z. B. einen Polizisten mit ein paar Euro dazu bringen kann, eine unliebsame Gestalt einfach zu töten. An so was denke ich bei Deutschland glücklicherweise nicht und ich bin auch überzeugt, dass wir von solchen Zuständen weit entfernt sind.
Im Bereich der Wirtschaftskriminalität sind wir aber nicht so unschuldig, wie wir gerne glauben. Statistisch gesehen sind fast die Hälfte der deutschen Unternehmen Opfer von Wirtschaftskriminalität und die Wahrnehmung, die wir in unserer Arbeit haben, bestätigt diese Zahlen. Das Schlimme dabei ist, dass es sogar als völlig normal empfunden wird, zu bestechen, um an einen Auftrag zu kommen, und oftmals kein wirkliches Unrechtsbewusstsein dabei existiert.
Bestechung ist also normal? Mehr als das. Sie wird oft sogar als notwendig empfunden. Dies hängt mit einer in Deutschland über viele Jahre hinweg sehr tolerant praktizierten Antikorruptionsgesetzgebung zusammen. Dadurch konnte sich Bestechung als völlig normales und sogar als unverzichtbar angesehenes Mittel des Wirtschaftslebens etablieren.
Als notwendig? Warum? Spontan gesehen durchaus nachvollziehbar: Jeder tut das, was er für nötig erachtet, um an einen Auftrag zu kommen. Wenn eine kleine Zuwendung da hilft, warum nicht? Das erleichtert zudem den Verkauf, weil nicht mehr die Qualität des eigenen Produkts hervorgehoben werden muss, sondern die Auswahl schlicht über die Höhe der Zuwendung gesteuert wird. Viele Täter argumentieren übrigens vom Standpunkt aus, das, wenn sie nicht bestechen würden, es der Mitbewerber täte. Das zeigt eindeutig, wie normal solche Vorgänge empfunden werden.
Wenn es so normal ist, was ist dann genau der Schaden? Schließlich dienen Zuwendungen ja der Ankurbelung von Umsätzen und bringen Geld in Umlauf. Ja, klar, wenn man einer Oma im Wald die Handtasche klaut und sich von dem darinliegenden Geld ein paar Flaschen Alkohol kauft, leistet man auch einen Dienst an der Volkswirtschaft. Schließlich hat Omi so keine Gelegenheit, das Geld unterm Kopfkissen zu verstecken, und der Täter investiert es in Güter, die auch noch mit einer hohen Steuer belegt sind. Volkswirtschaftlich hervorragend!
Spaß beiseite. Bestechung ist ganz klar Wettbewerbsverzerrung. Nicht das beste Produkt macht das Rennen, sondern das am besten geschmierte. Das ist innovationshemmend. Zudem zahlt das Unternehmen des Zuwendungsnehmers mehr, als es müsste, weil es ja die Bestechung und die schlechteren Konditionen mitbezahlt. Dieses Geld könnte auch sinnvoller investiert werden. Ohne eine sachliche, sondern eine durch persönlichen Vorteil getriebene Sicht beim Einkauf wird vielleicht auch noch ein völlig falsches Produkt gekauft, das nicht optimal die Bedürfnisse des Käufers widerspiegelt. Dabei entstehen dann womöglich noch weiche Schäden, die schwer zu bemessen sind, weil das falsche Produkt zu falschen Prozessen führt, ineffizient im Einsatz sind etc. Ich glaube, wir müssen nicht wirklich darüber diskutieren, dass Korruptionsdelikte streng genommen einen hohen volkswirtschaftlichen Schaden hervorrufen.
Um welche Dimensionen geht es dabei? Das ist völlig unterschiedlich und hängt mit dem jeweiligen Auftragsvolumen und den dahinterliegenden Margen zusammen.
Zum einen gibt es da die extrem hohen Auftragsdimensionen, also z. B. Industrieprojekte oder Staatsaufträge, bei denen es um hohe Millionen-, gar um Milliardensummen geht. Bei solchen Aufträgen sind die Bestechungsgelder natürlich auch dementsprechend hoch und nicht selten siebenstellig.
Wir bewegen uns mit unseren Untersuchungen jedoch in einem anderen Feld, also konkret im kleinen bis mittleren Mittelstand. Da geht es um deutlich geringere Dimensionen und auch nicht immer um bares Geld. Die Zuwendung findet hier oftmals in Sachleistungen statt, z. B. durch das Spendieren eines Urlaubs oder andere kleine Nettigkeiten.
Haben Sie ein plastisches Beispiel? Ich nehme die Anschaffung einer Telefonanlage gerne als Beispiel: Je nach Unternehmensgröße kann diese z. B. ca. 100.000 € kosten. Dabei wäre ein Verhandlungsspielraum von ca. 20 %, also 20.000 €, für einen erfahrenen Einkäufer realisierbar. Durch die Zuwendung, sagen wir mal i. H. v. ca. 5.000 €, egal ob in bar oder als Sachwert, wird die Auswahl manipuliert und das Angebot – um keinen Verdacht zu erregen – um 5 % nachverhandelt. Dabei entstehen der Opferfirma zwei Schäden: Sie hat 15.000 € mehr als nötig bezahlt und nicht das beste Produkt gekauft.
Zudem wird noch ein Wartungsvertrag ausgehandelt, der monatlich z. B. mit 1.000 € statt mit eventuell realisierbaren 600 € zu Buche schlägt. Das macht dann einen laufenden Schaden von 400 € im Monat, 4.800 € im Jahr, 24.000 € in fünf Jahren etc. aus.
Für die Annahme einer persönlichen Zuwendung von 5.000 € hat der Zuwendungsnehmer seinem Betrieb also für einen Zeitraum von fünf Jahren einen Schaden von knapp 40.000 € verursacht.
Dieses Beispiel können Sie auf fast alles übertragen: Anschaffung von Industriegütern, Maschinen, Autos, Telefonietarife etc. Bei unseren Vertragsprüfungen treffen wir unentwegt auf diese Praxis.
Wie sieht denn Ihre Detektivarbeit aus? (lacht) Naja, ich würde es nicht als Detektivarbeit bezeichnen, eher als Erbsenzählerei. Wir sind keine Wirtschaftsdetektei und stellen den potenziellen Tätern nicht hinter Zeitungen versteckt unauffällig nach.
Im Grunde sind wir Kostensenker. Wir werden als Revisoren gebucht, um z. B. Verträge zu prüfen. Dabei steht nicht die Korruptionsaufdeckung im Vordergrund, sondern die Senkung von Kosten, z. B. für Telefontarife und IT-Infrastruktur. Unsere Aufgabe ist es, herauszufinden, ob ein Unternehmen mit seinen aktuellen Verträgen gut aufgestellt ist, Optimierungspotenzial aufzudecken, Verträge neu zu verhandeln und zu helfen, zu viel bezahlte Entgelte zurückzuholen. Durch unseren strukturierten Abgleich, die genaue Kenntnis von Konditionen und Märkten und unsere Datenbanken, in denen auch vergangenheitsbezogene Daten erfasst sind, finden wir dabei in über 95 % der Fälle diese Optimierungspotenziale vor.
Wenn dies der Fall ist, gilt es, zu untersuchen, wie es zu diesen ungünstigen Konditionen gekommen ist. Dabei ist übrigens natürlich nicht immer Korruption im Spiel, oftmals ist es einfach die Folge von mangelndem Know-how und einer fehlenden Vertragsverwaltung. Diese Nachlässigkeit wird dann von den Anbietern genutzt, indem z. B. verbesserte Konditionen in laufenden Verträgen nicht angepasst werden. Hier kann aber oft eine Rückholung der zu viel bezahlten Beträge stattfinden, auf jeden Fall aber eine Konditionsanpassung für die Zukunft.
Welchen Umfang kann denn so ein Schaden aus laufenden Verträgen annehmen? Das ist natürlich auch unterschiedlich. Aber nehmen wir das Beispiel Mobilfunk: Sie sind ein außendienstorientiertes Unternehmen und haben hundert Mitarbeiter, die Sie mit einem Mobiltelefon bestücken. Hierzu haben Sie einen Rahmenvertrag mit einem Mobilfunkanbieter. Wenn Sie pro Anschluss nur unauffällige 10 € im Monat mehr bezahlen, als es nötig wäre, dann haben Sie einen monatlichen Schaden von 1.000 €, einen jährlichen von 12.000 €. Und wenn die Konditionen nicht passen, geht es meistens um mehr als 10 € je Anschluss. Da gilt es zu handeln.
Und solche schlechten Konditionen sind Beweis für ein Korruptionsdelikt? Nein, sie sind erst mal ein Hinweis, den es zu untersuchen gilt. Wie ich bereits erwähnte, können die Ursachen vielfältig sein und können in mangelndem Know-how bis hin zu Korruption begründet sein. Das stellt sich dann in der weiteren Untersuchung heraus.
Ein Hinweis auf Korruption kann dabei sein, wie die Konditionsverbesserung nachverfolgt wird. Dadurch, dass es einen weiten Spielraum für Konditionsneuverhandlungen und sogar für Rückholung von in der Vergangenheit zu viel bezahlten Entgelten gibt, würde es verdächtig stimmen, wenn diese Nachverfolgung unterlassen wird. Konkret: Warum werden Möglichkeiten, zukünftig nennenswerte Beträge zu sparen und womöglich nenenswerte, zu viel bezahlte Entgelte zurückzufordern, nicht genutzt? Da bleiben nur drei Antworten: Jemand hat Angst, dass ihm diese schlechten Konditionen als Inkompetenz vorgeworfen werden, es ist Korruption im Spiel oder es gibt ein wechselseitiges Kunden-Lieferanten-Verhältnis, bei dem man bewusst schlechtere Konditionen in Kauf nimmt, weil die Rechnung trotzdem stimmt. Ach so, es gibt noch einen vierten Grund: Das Unternehmen hat einen Dukatenesel im Keller und es ist ihm schlichtweg egal, ob es irgendwo zu viel bezahlt. Der letzte Grund ist aber höchst selten.
Wie Sie sehen, gilt es, jeden Fall einzeln zu untersuchen und die Ursachen genau zu ermitteln.
Was meinen Sie, warum so wenig Unrechtsbewusstsein bei wirtschaftskriminellen Handlungen herrscht? Weil es menschlich ist. Der Rahmen, über den wir sprechen, besteht nicht aus den exorbitanten Beträgen, die in den spektakulären Medienfällen aufgerufen werden. In diesem Vergleich entsteht der Eindruck eines Kavaliersdelikts.
Durch die mangelnde Thematisierung, das Gefühl der Normalität und ein Sicherheitsgefühl, nicht erwischt zu werden, wird der Versuchung schnell erlegen. Der Mensch handelt nun mal oft kurzfristig zum eigenen Vorteil und wenn dieser gefahrlos erlangt werden kann, ist kaum jemand vor dieser Versuchung sicher. Auch nicht diejenigen, die ihr Leben im Allgemeinen als „anständige Bürger“ fristen.
Deshalb ist die Sensibilisierung für das Thema und die konkret drohenden Gefahren als Präventionsmaßnahme unerlässlich.
Sie sprechen die Prävention an. Wie kann sich ein Unternehmen gegen Korruptionsdelikte schützen?
Da gibt es viele Wege. Einer ist in einem alten Sprichwort begründet: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“ Es muss eigentlich in jedem Unternehmen Kontrollmechanismen zur Korruptionsprävention geben.
Wie können diese Kontrollmechanismen konkret aussehen? Darin, dass es z. B. klar geregelte Einkaufsprozesse gibt und auch untersucht wird, ob diese immer eingehalten werden. Wenn sie nicht eingehalten werden, muss es dafür eine angemessene Begründung geben, die nicht eine Person allein zu entscheiden hat. Insgesamt gilt es, ein Vier-Augen-Prinzip bei der Entscheidung über Anschaffungen einzuführen, denn dann müssen schon zwei Personen bestochen werden, was die Wahrscheinlichkeit minimiert.
Hilfreich kann es auch sein, Mitarbeiter darauf zu verpflichten, einen Bestechungsversuch sofort berichten zu müssen. Dadurch können Sie gut Lieferanten herausfiltern, die mit diesem Instrument arbeiten. Stellen Sie zudem einen Prozess auf, wie Mitarbeiter verfahren sollen, wenn sie den Verdacht haben, dass ein Kollege Vorteile entgegennimmt.
Wenn ein Delikt aufgedeckt wird, gilt es genau die Gründe zu untersuchen und mögliche Schwachstellen in den Prozessen zu schließen. Ein konsequenter Umgang mit der Aufdeckung und Nacharbeitung von Korruptionsdelikten hat auch eine Präventivfunktion, da es allen im Unternehmen klar wird, dass das Thema beäugt und konsequent verfolgt wird.
Und das alles schützt?
Ja, das alles schützt. Man sollte aber auch nicht der trügerischen Ansicht verfallen, es gäbe einen hundertprozentigen Schutz. Schließlich bahnt sich kriminelle Energie auch durch hohe Schutzmechanismen immer wieder ihren Weg. Aber Sie können so das Aufkommen drastisch reduzieren, da die sogenannten Versuchungsdelikte, die durch die Einfachheit ihrer Durchführung entstehen, zurückgedrängt werden. Korruption nimmt deutlich ab, wenn es schwierig wird, sie durchzuführen und die Sanktionen bei Entdeckung hoch sind.
Welche Rolle können externe Berater, wie z. B. Ihr Unternehmen, bei der Prävention spielen?
(lacht) Oh, meine Lieblingsfrage. Eine große Rolle natürlich! Im Ernst: Wir sind Helfer. Helfer bei der Beschaffung und der Untersuchung und Vermeidung von Kostenfallen. Dabei verfügen wir über ein Know-how, das in den Unternehmen in aller Regel nicht vorhanden ist. Wir haben also die Möglichkeit, völlig unabhängig das beste, effizienteste und günstigste Produkt gemessen an den Anforderungen und Bedürfnissen eines Unternehmens herauszufinden. Durch unsere Marktkenntnis können wir die Angemessenheit von Verträgen beurteilen und durch die Einführung einer professionellen Vertragsverwaltung dazu beitragen, die Stolperfallen laufender Verträge zu vermeiden.
Und externe Beschaffer und Revisoren stecken nicht in den Befindlichkeiten und sozialen Strukturen eines Unternehmens drin. Somit können Sie neutral und objektiv ihre Entscheidungen finden und Empfehlungen aussprechen.
Wer schützt aber ein Unternehmen gegen die falschen Berater? Schließlich können Sie bei Ihren Empfehlungen auch durch Zuwendungen getrieben sein. Oder ist Ihre Branche völlig unkorrupt? Schön wäre es! Genauso wie jede andere Branche auch, sind Berater natürlich ebenfalls anfällig für Korruptionsdelikte. Wir haben leider genügend schwarze Schafe in unseren Reihen, die vermeintlich unabhängig beraten, aber Empfehlungen für Produkte aussprechen, für die sie eine Provision bekommen. Die schwarzen Schafe sind uns aber bekannt.
Ihnen schon, aber nicht zwingend dem beauftragenden Unternehmen. Da haben Sie recht. Bei der Wahl des externen Beraters sollte ein Unternehmen auch vorsichtig vorgehen und den Berater genau unter die Lupe nehmen.
Ein Hinweis auf einen obskuren Berater kann ein zu günstiges Honorar sein, das dramatisch gegen Vergleichsangebote abfällt. Schließlich muss der Berater von irgendwas leben und wenn er es sich leisten kann, deutlich günstiger als sein Wettberwerb zu sein, stellt sich die Frage, womit er sein Geld nun genau verdient. Vielleicht ja aus anderen Quellen.
Eine weitere Frage ist, ob sich der Berater am Erfolg messen lassen will. Bei uns ist es z. B. so, dass Sie viele Leistungen auf Basis eines Erfolgshonorars buchen können. Je größer also die ermittelte Ersparnis und Kostensenkung ist, umso mehr verdient ein seriöser Berater, der für die Herbeiführung von Kostensenkungen beauftragt wurde.
Ein weiteres Auswahlkriterium ist die Form der Arbeitsprozesse. Kann und darf der Berater z. B. eine Ausschreibung nach UfAB durchführen? Wenn ja, ist das ein Sicherheitshinweis, weil alle am Prozess Beteiligten Regeln unterworfen sind, deren Missachtung eine klare strafrechtliche Komponente haben.
Stellen Sie sicher, und dies vertraglich, dass der Berater keine Verpflichtungen Dritten gegenüber erfüllen muss, wie z. B. Rahmen- oder Kontingentverträge, und in keinster Form vertrieblich tätig ist. Darüber hinaus unterwirft sich jeder seriöse Berater einem Verhaltens- und Verfahrenskodex, der es ihm verbietet gegen das Interesse seines Mandanten zu handeln.
Zudem befürworten wir auch eine öffentliche Liste, in der durch Korruptionsdelikte auffällig gewordene Unternehmen geführt werden.
Herr Tesch, vielen Dank für das Gespräch.