Der Kampf um die besten Köpfe – so gewinnen Unternehmen Talente für sich
Seit vielen Jahren geht ein Schreckgespenst auf dem deutschen Arbeitsmarkt umher: der Fachkräftemangel. Wie bedrohlich dieses Gespenst tatsächlich ist, zeigen die Daten von Unternehmen in Bezug auf die Dauer von Einstellungsprozessen. Ob Software-Design, Krankenpflege oder Gebäudetechnik – in zahlreichen Branchen brauchen Unternehmen im Durchschnitt mehr als ein halbes Jahr, um eine vakante Stelle neu zu besetzen.
Vor allem in Berufen mit einer hohen technischen Qualifikation ist ein Kampf um die besten Köpfe über alle Branchen- und Landesgrenzen hinweg ausgebrochen. Im englischen Sprachraum wird dieser Kampf noch martialischer als „War for Talents“ bezeichnet. Doch unabhängig davon, ob aus dem Kampf bereits ein Krieg geworden ist, müssen sich Betriebe heutzutage wesentlich stärker darum bemühen, die klügsten Köpfe an Bord ihres Unternehmens zu lotsen.
Der Fachkräftemangel ist im Wesentlichen auf zwei Haupttreiber zurückzuführen: den demografischen Wandel und die Digitalisierung. Auslöser des demografischen Wandels ist die Verrentung geburtenstarker Jahrgänge und das Nachrücken geburtenschwacher Jahrgänge auf den Arbeitsmarkt. Diese Entwicklung führt seit mehreren Jahren in Summe zu einer Abnahme des Arbeitskräftepotenzials, die sich nur durch die stetige Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte ausgleichen lässt. Zudem steigt auch das Durchschnittsalter der Beschäftigten in Deutschland. Für Unternehmen bedeutet dieser demografische Prozess eine generelle Problematik, junge Menschen als Arbeitskräfte zu gewinnen.
Verstärkt wird der Fachkräftemangel durch den rapiden Wandel der Arbeitswelt im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Sie hat zur Konsequenz, dass sich die auf dem Arbeitsmarkt erforderlichen Qualifikationen deutlich erhöhen und gleichzeitig in Richtung (informations-)technischer Berufe verschieben. Ingenieure und IT-Fachkräfte werden heutzutage nicht mehr nur händeringend in klassischen technischen Berufen gesucht, sondern sind über alle Branchengrenzen hinweg ein rares Gut. Dementsprechend sind die sogenannten MINT-Berufe (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) der wichtigste Kriegsschauplatz des War for Talents.
Employer Branding
Eine der entscheidenden Stellschrauben für Unternehmen im Kampf um die besten Köpfe ist das sogenannte „Employer Branding“. Unter diesem Begriff werden alle Maßnahmen verstanden, die ein Unternehmen ergreifen kann, um sich auf dem Arbeitsmarkt attraktiv zu präsentieren. Damit steigen die Chancen, mehr und höher qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Employer Branding ist somit das Pendant zum klassischen Branding von Produkten. Eine passende deutsche Übersetzung des Begriffs gibt es übrigens nicht.
Employer Branding ist heutzutage für Unternehmen im War of Talents so relevant, weil besonders für jüngere Arbeitssuchende das Image einer Firma neben der materiellen Vergütung des Jobs eine immer bedeutendere Rolle spielt. Hat das Unternehmen ein altbackenes und verstaubtes Image oder steht es für Fortschritt und Innovation? Kann man dort etwas direkt bewegen oder muss man auf das Okay zahlreicher Hierarchieebenen warten?
Vor allem Unternehmen, die im globalen Wettbewerb stehen, sehen sich bereits seit einigen Jahren mit der Bedeutung des Employer Brandings konfrontiert. Automobilkonzerne wie Volkswagen, Daimler und BMW konkurrieren inzwischen nicht nur untereinander und mit anderen deutschen Großunternehmen um die besten Ingenieure, sondern auch zunehmend mit amerikanischen Auto-Start-ups wie Tesla und Lucid sowie chinesischen Autoherstellern wie BYD und Geely. Letztere punkten gegenüber den deutschen Herstellerfirmen mit einer innovativen Kultur, in der jungen Fachkräften von Anfang an viel Gestaltungsspielraum und Verantwortung übertragen wird.
Wie lassen sich Frauen durch zielgruppenspezifisches Recruiting gewinnen?
Schrumpfende Geburtenjahrgänge und der Mangel an Fachkräften rückt Frauen immer stärker in den Fokus von Unternehmen. Besonders in Berufen, die bis heute als klassische Männerdomänen gelten, müssen sich Betriebe zunehmend um das weibliche Geschlecht bemühen, um freie Stellen adäquat zu besetzen.
Doch um Kandidatinnen für ein Unternehmen zu begeistern, braucht es viel mehr als nur ein attraktives Gehaltspaket und einen Firmenwagen. Im Unterschied zu Männern legen Frauen einen viel größeren Wert auf die generelle Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit. Unternehmen müssen darauf mit flexiblen und familienfreundlichen Angeboten reagieren. Diese können von der Möglichkeit variabler Arbeitszeiten über die Arbeit im Homeoffice bis zur Bereitstellung einer firmeneigenen Kindertagesstätte reichen. Unternehmen mit einem ausgefeilten Konzept für eine größere Familienfreundlichkeit können bei Frauen Punkte sammeln und verfügen über einen klaren Wettbewerbsvorteil im Kampf um die besten weiblichen Köpfe.
Welche Ansprüche haben die jungen Generationen?
Die aktuell auf den Arbeitsmarkt strömenden Generationen junger Menschen werden in den Medien gerne mit den Begriffen „Generation Y“ (auch „Millennials“ genannt) und „Generation Z“ bezeichnet. Während die Generation Y die Geburtenjahrgänge von den frühen 1980er-Jahren bis zu den späten 1990er-Jahren umfasst, werden der Generation Z Personen zugeordnet, die in den Jahren 1997 bis 2012 zur Welt gekommen sind. Diese Art der Generationenzusammenfassung ist selbst in der soziologischen Fachwelt höchst umstritten. Trotzdem lassen sich aus diversen Studien zu den genannten Generationen einige übergreifende Charakteristika ausmachen, die für Unternehmen von besonderem Interesse sind:
- Beiden Generationen ist gemeinsam, dass sie über einen überdurchschnittlich hohen Bildungsabschluss verfügen. Während die Generation ihrer Eltern noch vielfach „nur“ über einen einfachen Schulabschluss und eine Berufsausbildung verfügen, besitzen deutlich mehr Kinder der Generation Y und Z einen Hochschulabschluss. Dieser gilt als Schlüssel zu einem selbstbestimmten Leben.
- Beiden Generationen ist bewusst, dass es in der Schnelllebigkeit der heutigen Welt nicht mehr die Konstanten gibt, die das Leben ihrer Eltern noch dominierten. Die Generationen Y und Z haben sich folglich darauf eingestellt, dass ihr Leben viel weniger planbar ist als das ihrer Vorgängergenerationen.
- Vor diesem Hintergrund sind sie eher bereit, Dinge zu improvisieren und etwas Neues auszuprobieren. Ihr Lebenslauf hat demnach nicht mehr die Geradlinigkeit, die typisch für ihre Eltern war.
Firmen stellt dies vor eine große Herausforderung in der Anwerbung und dem Halten von Beschäftigten. Wo einst eine jahrzehntelange wechselseitige Loyalität zwischen Angestellten und Unternehmen vorhanden war, ist davon heute recht wenig übrig geblieben. Die Bereitschaft, den Job zu wechseln und neue Wege zu gehen – auch in ganz anderen Branchen – ist in der Generation Y und Z viel ausgeprägter als in früheren Generationen.
Zudem spielen für die jungen Generationen Attribute wie Status und Prestige eine viel geringere Rolle als die Freude an der Arbeit. Ein fetter Gehaltsscheck und eine wichtige Positionsbezeichnung sind bei Weitem nicht mehr so wichtig wie
- der Sinn der eigenen Tätigkeit,
- die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung,
- eine ausgewogene Work-Life-Balance.
Somit stellt sich die Frage: Wie können Betriebe im War of Talents am besten auf diese drei Faktoren reagieren?
1. Der Sinn der Arbeit
Bei den jüngeren Generationen ist die Ansicht gemein, dass die Träume ihrer Eltern nur in den seltensten Fällen Realität geworden sind. Sie sehen den klassischen 9-to-5-Bürojob als Hamsterrad, in dem der Sinn der eigenen Tätigkeit meist auf der Strecke bleibt. Unternehmen müssen heute also viel besser in der Lage sein, die Sinnhaftigkeit ihrer Geschäftstätigkeit und des konkreten Jobs zu kommunizieren. Um beim Beispiel der Automobilindustrie zu bleiben: Der angepriesene Sinn kann nicht mehr sein, die besten Autos zu bauen, sondern die nachhaltige Mobilität zu revolutionieren.
2. Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung
Dieser Punkt steht im Zusammenhang mit der zuvor genannten Sinnsuche und Verwirklichung eigener Träume, Wünsche und Ideen durch die Arbeit. Die Konsequenz für Unternehmen ist, dass sie jungen Beschäftigten mehr Zeit und Raum für die Selbstentfaltung am Arbeitsplatz geben müssen. In der Praxis bedeutet das, dass Firmen ihnen Frei- und Gestaltungsspielräume abseits von etablierten Hierarchien bieten sollten. Bestes Beispiel für diese Art der Selbstverwirklichung ist der Tech-Gigant Google, der seinen Angestellten ein Zeitbudget zur Verfügung stellt, um eigene Projekte zu verfolgen und zu verwirklichen. Dies selbstverständlich nicht ohne unternehmerischen Hintergedanken, weiß Google doch, dass bereits das eine oder andere Erfolg versprechende Projekt in der „Selbstverwirklichungszeit“ seiner Beschäftigten entstanden ist.
Vor allem in Bezug auf ihre Hierarchien sind Unternehmen zunehmend zum Umdenken gezwungen. Die in vielen, vor allem größeren Firmen seit Jahrzehnten etablierten Rangordnungen entsprechen häufig nicht mehr den Vorstellungen junger Beschäftigter. Starke Hierarchien werden als einengend und kreativitätshemmend empfunden. Studien haben gezeigt, dass vor allem die Generation Y kein Interesse mehr hat, in starren Strukturen zu arbeiten, sondern vielmehr die Arbeit in flexiblen und gleichberechtigten Teams bevorzugt.
Die besten Köpfe gehören besonders häufig Beschäftigten, die einen starken Drang nach freier Entfaltung spüren. Erschwerend kommt für Großunternehmen hinzu, dass sie in Bewerbungssituationen von Ausnahmetalenten nicht selten mit Start-ups oder gar einer potenziellen Selbstständigkeit der Bewerbenden konkurrieren müssen. Eine gute Möglichkeit, Beschäftigten mehr Raum zu geben, ist die Bildung von kleinen, autonomen Teams abseits aller Unternehmenshierarchien. Viele Autohersteller haben beispielsweise in der Entwicklung neuer Antriebskonzepte und Software gute Erfahrungen damit gemacht.
Eine weitere Möglichkeit für Unternehmen, die Selbstverwirklichung ihrer Angestellten zu fördern, ist das Angebot von maßgeschneiderten Fortbildungsprogrammen. Diese stellen für Unternehmen ein geeignetes Mittel dar, die Talente ihrer besten Köpfe zu fördern und ihnen gleichzeitig Wertschätzung entgegenzubringen.
3. Eine ausgewogene Work-Life-Balance
Als dritter großer Punkt auf der Wunschliste junger Leute steht eine ausgewogene Work-Life-Balance. Die Unvereinbarkeit von Karriere, Freizeit und Familie wurde von älteren Generationen als Selbstverständlichkeit hingenommen – für die jungen Generationen ist sie ein wesentlicher Grund, einen Job nicht anzunehmen oder ihn schnell wieder zu kündigen.
Unternehmen müssen sich vor diesem Hintergrund viel stärker Gedanken darüber machen, wie sie das Miteinander von Arbeit, Familie und Freizeit möglichst produktiv und reibungslos gestalten können. Sogar Unternehmen aus Branchen, die bislang nicht für eine ausgewogene Work-Life-Balance bekannt sind (wie etwa Investmentbanken und Unternehmensberatungen), sehen sich zunehmend gezwungen, das Missverhältnis aus zu viel Arbeit und zu wenig Privatleben zu korrigieren.
Vor allem die Generation Z wünscht sich erwiesenermaßen eine möglichst klare Trennung zwischen Privatleben und Beruf. Das in der Vergangenheit in so vielen Unternehmen praktizierte Work-Life-Blending, also die Vermischung von Arbeits- und Privatleben, wird von der Generation Z kaum mehr geduldet. Für viele Kinder dieser Generation stehen Familie und Privatleben an erster Stelle und der Beruf erst an zweiter.
Die gute Nachricht für Unternehmen ist in diesem Zusammenhang, dass der massive Wandel der Arbeitswelt zahlreiche neue Möglichkeiten eröffnet, für eine bessere Work-Life-Balance zu sorgen. Die beiden wichtigsten Faktoren sind das Homeoffice und die Digitalisierung.
Die Coronapandemie hat vielen Firmen vor Augen geführt, dass sich die (Zusammen-)Arbeit ihrer Beschäftigten im eigenen Zuhause wesentlich effizienter und unproblematischer gestaltet als befürchtet. Für eine Mehrheit der Angestellten bedeutet die Arbeit im Homeoffice eine deutliche Verbesserung der Work-Life-Balance. Der (lange) Arbeitsweg ins Büro entfällt, Tätigkeiten im Haushalt können teils flexibel während der Arbeitszeit verrichtet werden und es gibt mehr gemeinsame Zeit mit der Familie.
Neben der Arbeit im Homeoffice kann auch die Digitalisierung von Unternehmen gezielt eingesetzt werden, um die Work-Life-Balance ihrer Beschäftigten zu verbessern und so die besten Köpfe im Unternehmen zu halten. Die bedeutendste Wirkung ist die Flexibilisierung der Arbeitszeit. Wo früher starre Anwesenheitszeiten in Büros von der Firma vorgegeben wurden, haben Angestellte vieler Unternehmen dank digitaler Systeme heutzutage die Möglichkeit, ihre Arbeitszeiten weitgehend eigenständig zu bestimmen. Dies schafft wertvolle Freiräume, die für Zeit mit der Familie und für Freizeitbeschäftigungen genutzt werden kann.
Fazit
Der Kampf um die besten Köpfe wird sich in Zukunft angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels zunehmend verschärfen. Die Aufgabe von Unternehmen, offene Stellen adäquat zu besetzen, wird damit nicht einfacher. Erschwerend kommt für die Firmen hinzu, dass junge Menschen deutlich anspruchsvoller sind. Gehalt, Firmenwagen und Prestige sind nicht mehr die einzig ausschlaggebenden Faktoren, sondern auch der Sinn der Tätigkeit, die Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung und die Qualität der Work-Life-Balance. Unternehmen werden dementsprechend in Zukunft viel mehr Intelligenz und Ressourcen aufwenden müssen, um die besten Köpfe für sich zu gewinnen.
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