22. Oktober 2021

Der Kampf um die besten Köpfe – so gewinnen Unter­nehmen Talente für sich

Seit vielen Jahren geht ein Schreck­ge­spenst auf dem deut­schen Arbeits­markt umher: der Fach­kräf­te­mangel. Wie bedroh­lich dieses Gespenst tatsäch­lich ist, zeigen die Daten von Unter­nehmen in Bezug auf die Dauer von Einstel­lungs­pro­zessen. Ob Soft­ware-Design, Kran­ken­pflege oder Gebäu­de­technik – in zahl­rei­chen Bran­chen brau­chen Unter­nehmen im Durch­schnitt mehr als ein halbes Jahr, um eine vakante Stelle neu zu besetzen.

Vor allem in Berufen mit einer hohen tech­ni­schen Quali­fi­ka­tion ist ein Kampf um die besten Köpfe über alle Bran­chen- und Landes­grenzen hinweg ausge­bro­chen. Im engli­schen Sprach­raum wird dieser Kampf noch martia­li­scher als „War for Talents“ bezeichnet. Doch unab­hängig davon, ob aus dem Kampf bereits ein Krieg geworden ist, müssen sich Betriebe heut­zu­tage wesent­lich stärker darum bemühen, die klügsten Köpfe an Bord ihres Unter­neh­mens zu lotsen.

Der Fach­kräf­te­mangel ist im Wesent­li­chen auf zwei Haupt­treiber zurück­zu­führen: den demo­gra­fi­schen Wandel und die Digi­ta­li­sie­rung. Auslöser des demo­gra­fi­schen Wandels ist die Verren­tung gebur­ten­starker Jahr­gänge und das Nach­rü­cken gebur­ten­schwa­cher Jahr­gänge auf den Arbeits­markt. Diese Entwick­lung führt seit mehreren Jahren in Summe zu einer Abnahme des Arbeits­kräf­te­po­ten­zials, die sich nur durch die stetige Zuwan­de­rung auslän­di­scher Arbeits­kräfte ausglei­chen lässt. Zudem steigt auch das Durch­schnitts­alter der Beschäf­tigten in Deutsch­land. Für Unter­nehmen bedeutet dieser demo­gra­fi­sche Prozess eine gene­relle Proble­matik, junge Menschen als Arbeits­kräfte zu gewinnen.

Verstärkt wird der Fach­kräf­te­mangel durch den rapiden Wandel der Arbeits­welt im Zusam­men­hang mit der Digi­ta­li­sie­rung. Sie hat zur Konse­quenz, dass sich die auf dem Arbeits­markt erfor­der­li­chen Quali­fi­ka­tionen deut­lich erhöhen und gleich­zeitig in Rich­tung (informations-)technischer Berufe verschieben. Inge­nieure und IT-Fach­kräfte werden heut­zu­tage nicht mehr nur hände­rin­gend in klas­si­schen tech­ni­schen Berufen gesucht, sondern sind über alle Bran­chen­grenzen hinweg ein rares Gut. Dementspre­chend sind die soge­nannten MINT-Berufe (Mathe­matik, Infor­matik, Natur­wis­sen­schaft und Technik) der wich­tigste Kriegs­schau­platz des War for Talents.

Employer Bran­ding

Eine der entschei­denden Stell­schrauben für Unter­nehmen im Kampf um die besten Köpfe ist das soge­nannte „Employer Bran­ding“. Unter diesem Begriff werden alle Maßnahmen verstanden, die ein Unter­nehmen ergreifen kann, um sich auf dem Arbeits­markt attraktiv zu präsen­tieren. Damit steigen die Chancen, mehr und höher quali­fi­ziertes Personal zu rekru­tieren. Employer Bran­ding ist somit das Pendant zum klas­si­schen Bran­ding von Produkten. Eine passende deut­sche Über­set­zung des Begriffs gibt es übri­gens nicht.

Employer Bran­ding ist heut­zu­tage für Unter­nehmen im War of Talents so rele­vant, weil beson­ders für jüngere Arbeits­su­chende das Image einer Firma neben der mate­ri­ellen Vergü­tung des Jobs eine immer bedeu­ten­dere Rolle spielt. Hat das Unter­nehmen ein altba­ckenes und verstaubtes Image oder steht es für Fort­schritt und Inno­va­tion? Kann man dort etwas direkt bewegen oder muss man auf das Okay zahl­rei­cher Hier­ar­chie­ebenen warten?

Vor allem Unter­nehmen, die im globalen Wett­be­werb stehen, sehen sich bereits seit einigen Jahren mit der Bedeu­tung des Employer Bran­dings konfron­tiert. Auto­mo­bil­kon­zerne wie Volks­wagen, Daimler und BMW konkur­rieren inzwi­schen nicht nur unter­ein­ander und mit anderen deut­schen Groß­un­ter­nehmen um die besten Inge­nieure, sondern auch zuneh­mend mit ameri­ka­ni­schen Auto-Start-ups wie Tesla und Lucid sowie chine­si­schen Auto­her­stel­lern wie BYD und Geely. Letz­tere punkten gegen­über den deut­schen Herstel­ler­firmen mit einer inno­va­tiven Kultur, in der jungen Fach­kräften von Anfang an viel Gestal­tungs­spiel­raum und Verant­wor­tung über­tragen wird.

Wie lassen sich Frauen durch ziel­grup­pen­spe­zi­fi­sches Recrui­ting gewinnen?

Schrump­fende Gebur­ten­jahr­gänge und der Mangel an Fach­kräften rückt Frauen immer stärker in den Fokus von Unter­nehmen. Beson­ders in Berufen, die bis heute als klas­si­sche Männer­do­mänen gelten, müssen sich Betriebe zuneh­mend um das weib­liche Geschlecht bemühen, um freie Stellen adäquat zu besetzen.

Doch um Kandi­da­tinnen für ein Unter­nehmen zu begeis­tern, braucht es viel mehr als nur ein attrak­tives Gehalts­paket und einen Firmen­wagen. Im Unter­schied zu Männern legen Frauen einen viel größeren Wert auf die gene­relle Verein­bar­keit von Beruf, Familie und Frei­zeit. Unter­nehmen müssen darauf mit flexi­blen und fami­li­en­freund­li­chen Ange­boten reagieren. Diese können von der Möglich­keit varia­bler Arbeits­zeiten über die Arbeit im Home­of­fice bis zur Bereit­stel­lung einer firmen­ei­genen Kinder­ta­ges­stätte reichen. Unter­nehmen mit einem ausge­feilten Konzept für eine größere Fami­li­en­freund­lich­keit können bei Frauen Punkte sammeln und verfügen über einen klaren Wett­be­werbs­vor­teil im Kampf um die besten weib­li­chen Köpfe.

Welche Ansprüche haben die jungen Gene­ra­tionen?

Die aktuell auf den Arbeits­markt strö­menden Gene­ra­tionen junger Menschen werden in den Medien gerne mit den Begriffen „Gene­ra­tion Y“ (auch „Millen­nials“ genannt) und „Gene­ra­tion Z“ bezeichnet. Während die Gene­ra­tion Y die Gebur­ten­jahr­gänge von den frühen 1980er-Jahren bis zu den späten 1990er-Jahren umfasst, werden der Gene­ra­tion Z Personen zuge­ordnet, die in den Jahren 1997 bis 2012 zur Welt gekommen sind. Diese Art der Gene­ra­tio­nen­zu­sam­men­fas­sung ist selbst in der sozio­lo­gi­schen Fach­welt höchst umstritten. Trotzdem lassen sich aus diversen Studien zu den genannten Gene­ra­tionen einige über­grei­fende Charak­te­ris­tika ausma­chen, die für Unter­nehmen von beson­derem Inter­esse sind:

  • Beiden Gene­ra­tionen ist gemeinsam, dass sie über einen über­durch­schnitt­lich hohen Bildungs­ab­schluss verfügen. Während die Gene­ra­tion ihrer Eltern noch viel­fach „nur“ über einen einfa­chen Schul­ab­schluss und eine Berufs­aus­bil­dung verfügen, besitzen deut­lich mehr Kinder der Gene­ra­tion Y und Z einen Hoch­schul­ab­schluss. Dieser gilt als Schlüssel zu einem selbst­be­stimmten Leben.
  • Beiden Gene­ra­tionen ist bewusst, dass es in der Schnell­le­big­keit der heutigen Welt nicht mehr die Konstanten gibt, die das Leben ihrer Eltern noch domi­nierten. Die Gene­ra­tionen Y und Z haben sich folg­lich darauf einge­stellt, dass ihr Leben viel weniger planbar ist als das ihrer Vorgän­ger­ge­ne­ra­tionen.
  • Vor diesem Hinter­grund sind sie eher bereit, Dinge zu impro­vi­sieren und etwas Neues auszu­pro­bieren. Ihr Lebens­lauf hat demnach nicht mehr die Gerad­li­nig­keit, die typisch für ihre Eltern war.

Firmen stellt dies vor eine große Heraus­for­de­rung in der Anwer­bung und dem Halten von Beschäf­tigten. Wo einst eine jahr­zehn­te­lange wech­sel­sei­tige Loya­lität zwischen Ange­stellten und Unter­nehmen vorhanden war, ist davon heute recht wenig übrig geblieben. Die Bereit­schaft, den Job zu wech­seln und neue Wege zu gehen – auch in ganz anderen Bran­chen – ist in der Gene­ra­tion Y und Z viel ausge­prägter als in früheren Gene­ra­tionen.

Zudem spielen für die jungen Gene­ra­tionen Attri­bute wie Status und Pres­tige eine viel gerin­gere Rolle als die Freude an der Arbeit. Ein fetter Gehalts­scheck und eine wich­tige Posi­ti­ons­be­zeich­nung sind bei Weitem nicht mehr so wichtig wie

  • der Sinn der eigenen Tätig­keit,
  • die Möglich­keit zur Selbst­ver­wirk­li­chung,
  • eine ausge­wo­gene Work-Life-Balance.

Somit stellt sich die Frage: Wie können Betriebe im War of Talents am besten auf diese drei Faktoren reagieren?

1. Der Sinn der Arbeit

Bei den jüngeren Gene­ra­tionen ist die Ansicht gemein, dass die Träume ihrer Eltern nur in den seltensten Fällen Realität geworden sind. Sie sehen den klas­si­schen 9-to-5-Bürojob als Hams­terrad, in dem der Sinn der eigenen Tätig­keit meist auf der Strecke bleibt. Unter­nehmen müssen heute also viel besser in der Lage sein, die Sinn­haf­tig­keit ihrer Geschäfts­tä­tig­keit und des konkreten Jobs zu kommu­ni­zieren. Um beim Beispiel der Auto­mo­bil­in­dus­trie zu bleiben: Der ange­prie­sene Sinn kann nicht mehr sein, die besten Autos zu bauen, sondern die nach­hal­tige Mobi­lität zu revo­lu­tio­nieren.

2. Die Möglich­keit zur Selbst­ver­wirk­li­chung

Dieser Punkt steht im Zusam­men­hang mit der zuvor genannten Sinn­suche und Verwirk­li­chung eigener Träume, Wünsche und Ideen durch die Arbeit. Die Konse­quenz für Unter­nehmen ist, dass sie jungen Beschäf­tigten mehr Zeit und Raum für die Selbst­ent­fal­tung am Arbeits­platz geben müssen. In der Praxis bedeutet das, dass Firmen ihnen Frei- und Gestal­tungs­spiel­räume abseits von etablierten Hier­ar­chien bieten sollten. Bestes Beispiel für diese Art der Selbst­ver­wirk­li­chung ist der Tech-Gigant Google, der seinen Ange­stellten ein Zeit­budget zur Verfü­gung stellt, um eigene Projekte zu verfolgen und zu verwirk­li­chen. Dies selbst­ver­ständ­lich nicht ohne unter­neh­me­ri­schen Hinter­ge­danken, weiß Google doch, dass bereits das eine oder andere Erfolg verspre­chende Projekt in der „Selbst­ver­wirk­li­chungs­zeit“ seiner Beschäf­tigten entstanden ist.

Vor allem in Bezug auf ihre Hier­ar­chien sind Unter­nehmen zuneh­mend zum Umdenken gezwungen. Die in vielen, vor allem größeren Firmen seit Jahr­zehnten etablierten Rang­ord­nungen entspre­chen häufig nicht mehr den Vorstel­lungen junger Beschäf­tigter. Starke Hier­ar­chien werden als einengend und krea­ti­vi­täts­hem­mend empfunden. Studien haben gezeigt, dass vor allem die Gene­ra­tion Y kein Inter­esse mehr hat, in starren Struk­turen zu arbeiten, sondern viel­mehr die Arbeit in flexi­blen und gleich­be­rech­tigten Teams bevor­zugt.

Die besten Köpfe gehören beson­ders häufig Beschäf­tigten, die einen starken Drang nach freier Entfal­tung spüren. Erschwe­rend kommt für Groß­un­ter­nehmen hinzu, dass sie in Bewer­bungs­si­tua­tionen von Ausnah­me­ta­lenten nicht selten mit Start-ups oder gar einer poten­zi­ellen Selbst­stän­dig­keit der Bewer­benden konkur­rieren müssen. Eine gute Möglich­keit, Beschäf­tigten mehr Raum zu geben, ist die Bildung von kleinen, auto­nomen Teams abseits aller Unter­neh­mens­hier­ar­chien. Viele Auto­her­steller haben beispiels­weise in der Entwick­lung neuer Antriebs­kon­zepte und Soft­ware gute Erfah­rungen damit gemacht.

Eine weitere Möglich­keit für Unter­nehmen, die Selbst­ver­wirk­li­chung ihrer Ange­stellten zu fördern, ist das Angebot von maßge­schnei­derten Fort­bil­dungs­pro­grammen. Diese stellen für Unter­nehmen ein geeig­netes Mittel dar, die Talente ihrer besten Köpfe zu fördern und ihnen gleich­zeitig Wert­schät­zung entge­gen­zu­bringen.

3. Eine ausge­wo­gene Work-Life-Balance

Als dritter großer Punkt auf der Wunsch­liste junger Leute steht eine ausge­wo­gene Work-Life-Balance. Die Unver­ein­bar­keit von Karriere, Frei­zeit und Familie wurde von älteren Gene­ra­tionen als Selbst­ver­ständ­lich­keit hinge­nommen – für die jungen Gene­ra­tionen ist sie ein wesent­li­cher Grund, einen Job nicht anzu­nehmen oder ihn schnell wieder zu kündigen.

Unter­nehmen müssen sich vor diesem Hinter­grund viel stärker Gedanken darüber machen, wie sie das Mitein­ander von Arbeit, Familie und Frei­zeit möglichst produktiv und reibungslos gestalten können. Sogar Unter­nehmen aus Bran­chen, die bislang nicht für eine ausge­wo­gene Work-Life-Balance bekannt sind (wie etwa Invest­ment­banken und Unter­neh­mens­be­ra­tungen), sehen sich zuneh­mend gezwungen, das Miss­ver­hältnis aus zu viel Arbeit und zu wenig Privat­leben zu korri­gieren.

Vor allem die Gene­ra­tion Z wünscht sich erwie­se­ner­maßen eine möglichst klare Tren­nung zwischen Privat­leben und Beruf. Das in der Vergan­gen­heit in so vielen Unter­nehmen prak­ti­zierte Work-Life-Blen­ding, also die Vermi­schung von Arbeits- und Privat­leben, wird von der Gene­ra­tion Z kaum mehr geduldet. Für viele Kinder dieser Gene­ra­tion stehen Familie und Privat­leben an erster Stelle und der Beruf erst an zweiter.

Die gute Nach­richt für Unter­nehmen ist in diesem Zusam­men­hang, dass der massive Wandel der Arbeits­welt zahl­reiche neue Möglich­keiten eröffnet, für eine bessere Work-Life-Balance zu sorgen. Die beiden wich­tigsten Faktoren sind das Home­of­fice und die Digi­ta­li­sie­rung.

Die Coro­na­pan­demie hat vielen Firmen vor Augen geführt, dass sich die (Zusammen-)Arbeit ihrer Beschäf­tigten im eigenen Zuhause wesent­lich effi­zi­enter und unpro­ble­ma­ti­scher gestaltet als befürchtet. Für eine Mehr­heit der Ange­stellten bedeutet die Arbeit im Home­of­fice eine deut­liche Verbes­se­rung der Work-Life-Balance. Der (lange) Arbeitsweg ins Büro entfällt, Tätig­keiten im Haus­halt können teils flexibel während der Arbeits­zeit verrichtet werden und es gibt mehr gemein­same Zeit mit der Familie.

Neben der Arbeit im Home­of­fice kann auch die Digi­ta­li­sie­rung von Unter­nehmen gezielt einge­setzt werden, um die Work-Life-Balance ihrer Beschäf­tigten zu verbes­sern und so die besten Köpfe im Unter­nehmen zu halten. Die bedeu­tendste Wirkung ist die Flexi­bi­li­sie­rung der Arbeits­zeit. Wo früher starre Anwe­sen­heits­zeiten in Büros von der Firma vorge­geben wurden, haben Ange­stellte vieler Unter­nehmen dank digi­taler Systeme heut­zu­tage die Möglich­keit, ihre Arbeits­zeiten weit­ge­hend eigen­ständig zu bestimmen. Dies schafft wert­volle Frei­räume, die für Zeit mit der Familie und für Frei­zeit­be­schäf­ti­gungen genutzt werden kann.

Fazit

Der Kampf um die besten Köpfe wird sich in Zukunft ange­sichts des anhal­tenden Fach­kräf­te­man­gels zuneh­mend verschärfen. Die Aufgabe von Unter­nehmen, offene Stellen adäquat zu besetzen, wird damit nicht einfa­cher. Erschwe­rend kommt für die Firmen hinzu, dass junge Menschen deut­lich anspruchs­voller sind. Gehalt, Firmen­wagen und Pres­tige sind nicht mehr die einzig ausschlag­ge­benden Faktoren, sondern auch der Sinn der Tätig­keit, die Möglich­keiten zur Selbst­ver­wirk­li­chung und die Qualität der Work-Life-Balance. Unter­nehmen werden dementspre­chend in Zukunft viel mehr Intel­li­genz und Ressourcen aufwenden müssen, um die besten Köpfe für sich zu gewinnen.


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