Die 25-Stunden-Woche
Mehr Produktivität durch reduzierte Arbeitszeit: Kann das klappen? Zunehmend mehr Unternehmen versuchen sich an einem Arbeitszeitmodell, von dem sowohl Firma als auch Beschäftigte profitieren.
Die Reduktion einer Vollzeitstelle auf 25 Wochenstunden soll bei vollem Gehalt für eine höhere Zufriedenheit und Arbeitsleistung sorgen und den Ansprüchen der modernen und zunehmend digitalen Arbeitswelt entsprechen.
Durch die Coronapandemie erhält der Prozess veränderter Arbeitsmodelle zusätzlichen Auftrieb. Flexible Konzepte, die auch in die Zukunft hinein funktionieren, sind dabei gefragt.
Die Work-Life-Balance
Immer mehr Menschen, vor allem der jüngeren Generation, wünschen sich eine deutliche Verbesserung der sogenannten Work-Life-Balance (Gleichgewicht aus Arbeit und Privatleben). Die Vereinbarkeit der beruflichen Tätigkeit mit genügend Zeiträumen für die eigene Familie nimmt einen immer höheren Stellenwert ein. Eine Studie der Universität Melbourne (USA) zeigt am Beispiel von Menschen über 40 Jahren das höchste Maß an Leistungsfähigkeit, wenn sie wöchentlich nicht mehr als 25 Stunden arbeiten. Weitere Untersuchungen weisen auf den Zusammenhang zwischen wachsendem Stressempfinden oder einer erhöhten Schmerzempfindlichkeit und langen Arbeitszeiten hin. Auch eine Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) kommt zu dem Ergebnis, dass lange Arbeitszeiten grundsätzlich und in langfristiger Hinsicht zu erheblichen Überanstrengungen bis hin zum Burn-out führen können.
Skandinavien als Vorreiter
Schon lange vor Deutschland haben die Länder Skandinaviens Arbeitszeitmodelle zur Verbesserung der Work-Life-Balance ausprobiert. Hier ist vor allem Schweden mit seinem Test zu nennen, bestimmte Arbeitsplätze durch eine deutliche Verkürzung der täglichen Arbeitsstunden attraktiver zu gestalten. Vor allem im sozialen Bereich und im Gesundheitssektor wurden Sechs-Stunden-Tage etabliert, um bessere Bedingungen für die Angestellten zu ermöglichen. Manche der Testphasen scheiterten aufgrund zu hoher Kosten, andere hingegen gelangen. Teurer sind jene Bereiche, in denen Betreuungsleistungen anfallen. Bei einem Altenheim führen verkürzte Arbeitszeiten beispielsweise zur Einstellung zusätzlichen Personals. Das ist mit Mehrkosten verbunden, die sich gerade der Non-Profit-Bereich oft nicht leisten kann. Erfolgreicher waren hingegen andere Branchen, darunter die Göteborger Toyota-Werkstatt.
Die Anfänge in Deutschland
Als erste deutsche Firma hat Rheingans Digital Enabler aus Bielefeld im Oktober 2017 die 25-Stunden-Woche eingeführt. Der Unternehmer und Firmeninhaber Lasse Rheingans übernahm zu diesem Zeitpunkt die IT-Agentur und hatte in seiner früheren Arbeitsstelle die Erfahrung einer Mehrfachbelastung durch Vollzeitstelle und Privatleben gemacht. Er reduzierte dort seine Anstellung um einen ganzen Arbeitstag in Form zweier Nachmittage und stellte fest, dass die Erledigung seines Arbeitspensums dennoch gleichermaßen möglich war.
Diese Erkenntnisse legen nahe, dass ein konventioneller Vollzeit-Bürotag ein hohes Maß an verschwendeter Zeit mit sich bringt. Denn es ist in der Regel kaum möglich, einen vollen Tag mit einer regulären Arbeitszeit von acht Stunden in durchgehend hoher Konzentration zu verbringen. Lasse Rheingans nahm vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen an, dass das gleiche Arbeitspensum mit einer effizienteren Arbeitsweise und einer guten Planung auch in fünf Stunden zu bewältigen sei.
Er setzte sich daraufhin mit zahlreichen Untersuchungen und Forschungen zum Thema auseinander und stieß auf den amerikanischen Unternehmer Stephan Aarstol. Der Gründer testete bereits im Jahr 2015 ein Modell mit einer Arbeitszeit von 8 bis 13 Uhr. Parallel dazu erhöhte er die Gehälter seiner Angestellten in Form einer Gewinnbeteiligung über fünf Prozent. Dies führte zu einer annähernden Verdoppelung der Stundenlöhne. Die damit verbundene Bitte an die Angestellten sah eine doppelte Produktivität im Vergleich zu einem durchschnittlichen Mitarbeiter vor. Mittlerweile hat sich der Umsatz der Firma um 40 Prozent gesteigert, die Rechnung ist somit aufgegangen und das Arbeitszeitmodell wurde auch nach Ablauf der dreimonatigen Testphase beibehalten.
Lasse Rheingans plante einen vergleichbaren Versuch zum Zeitpunkt der Agenturübernahme über einen Zeitraum von zunächst fünf Monaten. Er wollte sich danach entscheiden, ob dieses Arbeitszeitmodell für seine Agentur dauerhaft sinnvoll ist oder nicht. Er reduzierte die Arbeitszeit seiner Angestellten von täglich acht auf fünf Stunden. Der Zuwachs an freier Zeit sollte dabei verschiedene Faktoren erfüllen:
- Erhöhung der Motivation,
- verbesserte Erholungsmöglichkeiten und Stressabbau,
- generelle Fehlerreduktion im Arbeits-
- prozess,
- Steigerung von kreativen Ideen,
- Wettbewerbsvorteile durch effizientere Arbeitsweisen.
Die Umsetzung
Lasse Rheingans unterbreitet zunächst seinem Team die konkrete Idee. Geplant sei eine tägliche Arbeitszeit von fünf Stunden im Zeitraum 8 bis 13 Uhr bei gleicher Bezahlung und dem identischen Urlaubsanspruch wie zuvor. Überstunden seien bei dem Konzept nicht angedacht, das Arbeitspensum solle nach Möglichkeit ohne zusätzliche Zeiten zu bewerkstelligen sein. Dafür solle auf private Telefongespräche ebenso verzichtet werden wie auch z. B. auf das Surfen im Internet während der Arbeitszeit. Gleichermaßen seien längere private Gespräche im Pausenbereich der Agenturküche zu vermeiden. Ein ausdrückliches Verbot gäbe es nicht, jedoch seien diese privaten Handlungen angesichts der deutlich kürzeren Anwesenheitszeit nicht gerne gesehen. Wer sich länger austauschen möchte, könne dies in der nun gewonnenen außerdienstlichen Zeit tun. Gesagt, getan.
Ein Arbeitstag beginnt mit einem sehr kurz gehaltenen morgendlichen Meeting zur Aufgabenbesprechung für den jeweiligen Tag. Prioritäten und Deadlines werden geklärt und bei Bedarf benötigte Zeitkontingente für die Umsetzung besprochen. Weiterhin gilt es, sogenannte Zeitfresser aufzuspüren und zu beseitigen. Dazu zählen beispielsweise überlange Meetings und ausgedehnte ineffektive Absprachen. Weiterhin werden die vorhandenen Tools und die Hardware-Ausstattung in Bezug auf ihre Effektivität analysiert. Kommunikation miteinander findet nach Möglichkeit unmittelbar am Tisch statt und nicht mehr in langwierigen Chats.
Der gesamte Prozess in der Experimentierphase entspricht einem Ausprobieren und lösungsorientierten Vorgehen, vor allem hinsichtlich zeitintensiver Bereiche, die optimiert werden können.
Die Veränderungen für die Mitarbeiter
Alle Angestellten der Agentur waren von Anfang an begeistert vom neuen Arbeitszeitmodell, allerdings teilweise auch skeptisch. Es bestanden Unsicherheiten, ob eine so hohe Effizienz und Produktivität langfristig durchzuhalten ist. Der Unternehmer reduzierte den Druck durch die Mitteilung, er wisse um die Schwierigkeiten einer solchen Umstellung und rechne durchaus mit dem Scheitern des Experiments.
Eines der wesentlichen Ergebnisse zeigte sich in Form einer deutlich höheren grundlegenden Entspannung. Während bei einer achtstündigen Arbeitszeit der verbleibende Feierabend aufgrund der häufig großen Erschöpfung nur wenig sinnvoll genutzt wurde, ist durch die geringere Arbeitszeit der gegenteilige Effekt eingetreten. Die Angestellten haben viele Optionen, ihre gewonnene freie Zeit aktiv zu nutzen und zu gestalten. Dies fördert nicht nur die allgemeine Erholung, sondern ermöglicht auch die Umsetzung von regenerierenden Tätigkeiten, beispielsweise Sport.
Die Umstellung ist nicht völlig komplikationslos möglich. Krankheitszeiten im Team müssen ebenso aufgefangen werden wie die Abwesenheit durch Urlaub. In solchen Fällen springen die verbleibenden Kollegen ein, allerdings ergibt es auch hier einen Unterschied, ob solche Zeiten ergänzend zu einem Acht-Stunden-Tag oder vor dem Hintergrund einer täglichen fünfstündigen Arbeitszeit zu bewältigen sind. Ein Ausgleich solcher zusätzlichen Zeiten wird unter anderem durch Sonderurlaub ermöglicht.
Bei der Beschäftigung von Auszubildenden muss die gesetzliche Verpflichtung zu einer 40-Stunden-Woche berücksichtigt werden. Hier hilft die Möglichkeit, die verbleibenden drei Stunden als Lernzeit im Homeoffice zu verbringen.
Das Resümee des Unternehmers
Agenturinhaber Rheingans zieht eine durchweg positive Bilanz. Die Kundenzufriedenheit ist weiterhin hoch. Es gab zu keiner Zeit Probleme mit der fristgerechten Erledigung von Aufträgen. Neu für die Kunden war die telefonische Nichterreichbarkeit der Firma nach 13 Uhr, die jedoch allgemein akzeptiert wurde. Für die selten vorkommenden Notfälle wurde ein Alarmhandy etabliert. Auch wenn niemand Punkt 13 Uhr den Stift fallen lässt, sind die Zeiten, in denen jemand aufgrund eines nicht erledigten Tagespensums länger bleiben muss, äußerst selten.
Durch das fokussierte und hoch konzentrierte Arbeiten sind private Small Talks unter den Kollegen selten geworden. Private Verabredungen funktionieren weiterhin bei Bedarf in privater Regie außerhalb der Arbeitszeiten. Gelegentlich sitzen manche Beschäftigte auch nach Dienstschluss noch zum Plaudern zusammen und es hat sich etabliert an den Freitagen nach der Arbeit miteinander zu essen.
Lasse Rheingans ist der Ansicht, dass Acht-Stunden-Tage in der heutigen Wissensgesellschaft nicht mehr zeitgemäß sind. Benötigt werden Menschen mit einer hohen kognitiven und kreativen Kompetenz, die ausgeruht, zufrieden und motiviert besser abrufbar ist als erschöpft und gestresst. Im Zeitalter der Digitalisierung funktionieren die herkömmlichen Arbeitsmodelle aus den 1950er-Jahren also nicht mehr wie bisher.
Das Arbeitszeitmodell von Lasse Rheingans wurde mittlerweile ausgezeichnet und erhielt den ersten Platz als Unternehmen des Jahres (Netzwerk Xing, New Work Award 2019).
Fazit
Eine wachsende Anzahl an Studien zeigt auf, dass insbesondere die jüngeren Generationen eine Work-Life-Balance wünschen und auch zunehmend einfordern. Der vielfach zu verzeichnende Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften legt nahe, dass eine hohe Bindung für die Unternehmen wesentlich ist. Eine Möglichkeit, um einerseits Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten und andererseits Arbeitskräfte zu unterstützen, ist die Verkürzung der Arbeitszeit. Hierdurch werden nicht nur krankheitsbedingte Ausfälle und langfristig vorkommende Burn-outs verringert, sondern auch die Zufriedenheit und Motivation der Angestellten verbessert.Die vielfach geführten Diskussionen zu Arbeitszeitmodellen sollten sich generell nicht allein an wirtschaftlichen Kriterien orientieren. Gleichermaßen relevant sind die gesundheitlichen Risiken durch lange Arbeitszeiten, die zu erheblichen Ausfällen und damit verbundenen Kosten führen. Gesunde und weitgehend entspannte Kräfte hingegen sind die wichtigste Ressource für jedes Unternehmen. Sie stärken nicht nur das Unternehmen selbst, sondern ermöglichen aufgrund der effizienteren Arbeitsweise häufig eine damit verbundene Umsatzsteigerung.
Die Coronapandemie zeigt zusätzlich auf, dass eine Veränderung der Arbeitsmodalitäten für die meisten Unternehmen nicht mehr verzichtbar ist. Die gegenwärtige Krise wird die Arbeitswelt vollständig und in langfristiger Hinsicht verändern.
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