13. Juni 2021

Die 25-Stunden-Woche

Mehr Produk­ti­vität durch redu­zierte Arbeits­zeit: Kann das klappen? Zuneh­mend mehr Unter­nehmen versu­chen sich an einem Arbeits­zeit­mo­dell, von dem sowohl Firma als auch Beschäf­tigte profi­tieren.

Die Reduk­tion einer Voll­zeit­stelle auf 25 Wochen­stunden soll bei vollem Gehalt für eine höhere Zufrie­den­heit und Arbeits­leis­tung sorgen und den Ansprü­chen der modernen und zuneh­mend digi­talen Arbeits­welt entspre­chen.

Durch die Coro­na­pan­demie erhält der Prozess verän­derter Arbeits­mo­delle zusätz­li­chen Auftrieb. Flexible Konzepte, die auch in die Zukunft hinein funk­tio­nieren, sind dabei gefragt.

Die Work-Life-Balance

Immer mehr Menschen, vor allem der jüngeren Gene­ra­tion, wünschen sich eine deut­liche Verbes­se­rung der soge­nannten Work-Life-Balance (Gleich­ge­wicht aus Arbeit und Privat­leben). Die Verein­bar­keit der beruf­li­chen Tätig­keit mit genü­gend Zeit­räumen für die eigene Familie nimmt einen immer höheren Stel­len­wert ein. Eine Studie der Univer­sität Melbourne (USA) zeigt am Beispiel von Menschen über 40 Jahren das höchste Maß an Leis­tungs­fä­hig­keit, wenn sie wöchent­lich nicht mehr als 25 Stunden arbeiten. Weitere Unter­su­chungen weisen auf den Zusam­men­hang zwischen wach­sendem Stress­emp­finden oder einer erhöhten Schmerz­emp­find­lich­keit und langen Arbeits­zeiten hin. Auch eine Unter­su­chung der Bundes­an­stalt für Arbeits­schutz und Arbeits­me­dizin (BAuA) kommt zu dem Ergebnis, dass lange Arbeits­zeiten grund­sätz­lich und in lang­fris­tiger Hinsicht zu erheb­li­chen Über­an­stren­gungen bis hin zum Burn-out führen können.

Skan­di­na­vien als Vorreiter

Schon lange vor Deutsch­land haben die Länder Skan­di­na­viens Arbeits­zeit­mo­delle zur Verbes­se­rung der Work-Life-Balance auspro­biert. Hier ist vor allem Schweden mit seinem Test zu nennen, bestimmte Arbeits­plätze durch eine deut­liche Verkür­zung der tägli­chen Arbeits­stunden attrak­tiver zu gestalten. Vor allem im sozialen Bereich und im Gesund­heits­sektor wurden Sechs-Stunden-Tage etabliert, um bessere Bedin­gungen für die Ange­stellten zu ermög­li­chen. Manche der Test­phasen schei­terten aufgrund zu hoher Kosten, andere hingegen gelangen. Teurer sind jene Bereiche, in denen Betreu­ungs­leis­tungen anfallen. Bei einem Alten­heim führen verkürzte Arbeits­zeiten beispiels­weise zur Einstel­lung zusätz­li­chen Perso­nals. Das ist mit Mehr­kosten verbunden, die sich gerade der Non-Profit-Bereich oft nicht leisten kann. Erfolg­rei­cher waren hingegen andere Bran­chen, darunter die Göte­borger Toyota-Werk­statt.

Die Anfänge in Deutsch­land

Als erste deut­sche Firma hat Rhein­gans Digital Enabler aus Biele­feld im Oktober 2017 die 25-Stunden-Woche einge­führt. Der Unter­nehmer und Firmen­in­haber Lasse Rhein­gans über­nahm zu diesem Zeit­punkt die IT-Agentur und hatte in seiner früheren Arbeits­stelle die Erfah­rung einer Mehr­fach­be­las­tung durch Voll­zeit­stelle und Privat­leben gemacht. Er redu­zierte dort seine Anstel­lung um einen ganzen Arbeitstag in Form zweier Nach­mit­tage und stellte fest, dass die Erle­di­gung seines Arbeits­pen­sums dennoch glei­cher­maßen möglich war.

Diese Erkennt­nisse legen nahe, dass ein konven­tio­neller Voll­zeit-Bürotag ein hohes Maß an verschwen­deter Zeit mit sich bringt. Denn es ist in der Regel kaum möglich, einen vollen Tag mit einer regu­lären Arbeits­zeit von acht Stunden in durch­ge­hend hoher Konzen­tra­tion zu verbringen. Lasse Rhein­gans nahm vor dem Hinter­grund seiner eigenen Erfah­rungen an, dass das gleiche Arbeits­pensum mit einer effi­zi­en­teren Arbeits­weise und einer guten Planung auch in fünf Stunden zu bewäl­tigen sei.

Er setzte sich daraufhin mit zahl­rei­chen Unter­su­chungen und Forschungen zum Thema ausein­ander und stieß auf den ameri­ka­ni­schen Unter­nehmer Stephan Aarstol. Der Gründer testete bereits im Jahr 2015 ein Modell mit einer Arbeits­zeit von 8 bis 13 Uhr. Parallel dazu erhöhte er die Gehälter seiner Ange­stellten in Form einer Gewinn­be­tei­li­gung über fünf Prozent. Dies führte zu einer annä­hernden Verdop­pe­lung der Stun­den­löhne. Die damit verbun­dene Bitte an die Ange­stellten sah eine doppelte Produk­ti­vität im Vergleich zu einem durch­schnitt­li­chen Mitar­beiter vor. Mitt­ler­weile hat sich der Umsatz der Firma um 40 Prozent gestei­gert, die Rech­nung ist somit aufge­gangen und das Arbeits­zeit­mo­dell wurde auch nach Ablauf der drei­mo­na­tigen Test­phase beibe­halten.

Lasse Rhein­gans plante einen vergleich­baren Versuch zum Zeit­punkt der Agen­tur­über­nahme über einen Zeit­raum von zunächst fünf Monaten. Er wollte sich danach entscheiden, ob dieses Arbeits­zeit­mo­dell für seine Agentur dauer­haft sinn­voll ist oder nicht. Er redu­zierte die Arbeits­zeit seiner Ange­stellten von täglich acht auf fünf Stunden. Der Zuwachs an freier Zeit sollte dabei verschie­dene Faktoren erfüllen:

  • Erhö­hung der Moti­va­tion,
  • verbes­serte Erho­lungs­mög­lich­keiten und Stress­abbau,
  • gene­relle Fehler­re­duk­tion im Arbeits-
  • prozess,
  • Stei­ge­rung von krea­tiven Ideen,
  • Wett­be­werbs­vor­teile durch effi­zi­en­tere Arbeits­weisen.

Die Umset­zung

Lasse Rhein­gans unter­breitet zunächst seinem Team die konkrete Idee. Geplant sei eine tägliche Arbeits­zeit von fünf Stunden im Zeit­raum 8 bis 13 Uhr bei glei­cher Bezah­lung und dem iden­ti­schen Urlaubs­an­spruch wie zuvor. Über­stunden seien bei dem Konzept nicht ange­dacht, das Arbeits­pensum solle nach Möglich­keit ohne zusätz­liche Zeiten zu bewerk­stel­ligen sein. Dafür solle auf private Tele­fon­ge­spräche ebenso verzichtet werden wie auch z. B. auf das Surfen im Internet während der Arbeits­zeit. Glei­cher­maßen seien längere private Gespräche im Pausen­be­reich der Agen­tur­küche zu vermeiden. Ein ausdrück­li­ches Verbot gäbe es nicht, jedoch seien diese privaten Hand­lungen ange­sichts der deut­lich kürzeren Anwe­sen­heits­zeit nicht gerne gesehen. Wer sich länger austau­schen möchte, könne dies in der nun gewon­nenen außer­dienst­li­chen Zeit tun. Gesagt, getan.

Ein Arbeitstag beginnt mit einem sehr kurz gehal­tenen morgend­li­chen Meeting zur Aufga­ben­be­spre­chung für den jewei­ligen Tag. Prio­ri­täten und Dead­lines werden geklärt und bei Bedarf benö­tigte Zeit­kon­tin­gente für die Umset­zung bespro­chen. Weiterhin gilt es, soge­nannte Zeit­fresser aufzu­spüren und zu besei­tigen. Dazu zählen beispiels­weise über­lange Meetings und ausge­dehnte inef­fek­tive Abspra­chen. Weiterhin werden die vorhan­denen Tools und die Hard­ware-Ausstat­tung in Bezug auf ihre Effek­ti­vität analy­siert. Kommu­ni­ka­tion mitein­ander findet nach Möglich­keit unmit­telbar am Tisch statt und nicht mehr in lang­wie­rigen Chats.

Der gesamte Prozess in der Expe­ri­men­tier­phase entspricht einem Auspro­bieren und lösungs­ori­en­tierten Vorgehen, vor allem hinsicht­lich zeit­in­ten­siver Bereiche, die opti­miert werden können.

Die Verän­de­rungen für die Mitar­beiter

Alle Ange­stellten der Agentur waren von Anfang an begeis­tert vom neuen Arbeits­zeit­mo­dell, aller­dings teil­weise auch skep­tisch. Es bestanden Unsi­cher­heiten, ob eine so hohe Effi­zienz und Produk­ti­vität lang­fristig durch­zu­halten ist. Der Unter­nehmer redu­zierte den Druck durch die Mittei­lung, er wisse um die Schwie­rig­keiten einer solchen Umstel­lung und rechne durchaus mit dem Schei­tern des Expe­ri­ments.

Eines der wesent­li­chen Ergeb­nisse zeigte sich in Form einer deut­lich höheren grund­le­genden Entspan­nung. Während bei einer acht­stün­digen Arbeits­zeit der verblei­bende Feier­abend aufgrund der häufig großen Erschöp­fung nur wenig sinn­voll genutzt wurde, ist durch die gerin­gere Arbeits­zeit der gegen­tei­lige Effekt einge­treten. Die Ange­stellten haben viele Optionen, ihre gewon­nene freie Zeit aktiv zu nutzen und zu gestalten. Dies fördert nicht nur die allge­meine Erho­lung, sondern ermög­licht auch die Umset­zung von rege­ne­rie­renden Tätig­keiten, beispiels­weise Sport.

Die Umstel­lung ist nicht völlig kompli­ka­ti­onslos möglich. Krank­heits­zeiten im Team müssen ebenso aufge­fangen werden wie die Abwe­sen­heit durch Urlaub. In solchen Fällen springen die verblei­benden Kollegen ein, aller­dings ergibt es auch hier einen Unter­schied, ob solche Zeiten ergän­zend zu einem Acht-Stunden-Tag oder vor dem Hinter­grund einer tägli­chen fünf­stün­digen Arbeits­zeit zu bewäl­tigen sind. Ein Ausgleich solcher zusätz­li­chen Zeiten wird unter anderem durch Sonder­ur­laub ermög­licht.

Bei der Beschäf­ti­gung von Auszu­bil­denden muss die gesetz­liche Verpflich­tung zu einer 40-Stunden-Woche berück­sich­tigt werden. Hier hilft die Möglich­keit, die verblei­benden drei Stunden als Lern­zeit im Home­of­fice zu verbringen.

Das Resümee des Unter­neh­mers

Agen­tur­in­haber Rhein­gans zieht eine durchweg posi­tive Bilanz. Die Kunden­zu­frie­den­heit ist weiterhin hoch. Es gab zu keiner Zeit Probleme mit der frist­ge­rechten Erle­di­gung von Aufträgen. Neu für die Kunden war die tele­fo­ni­sche Nicht­er­reich­bar­keit der Firma nach 13 Uhr, die jedoch allge­mein akzep­tiert wurde. Für die selten vorkom­menden Notfälle wurde ein Alarm­handy etabliert. Auch wenn niemand Punkt 13 Uhr den Stift fallen lässt, sind die Zeiten, in denen jemand aufgrund eines nicht erle­digten Tages­pen­sums länger bleiben muss, äußerst selten.

Durch das fokus­sierte und hoch konzen­trierte Arbeiten sind private Small Talks unter den Kollegen selten geworden. Private Verab­re­dungen funk­tio­nieren weiterhin bei Bedarf in privater Regie außer­halb der Arbeits­zeiten. Gele­gent­lich sitzen manche Beschäf­tigte auch nach Dienst­schluss noch zum Plau­dern zusammen und es hat sich etabliert an den Frei­tagen nach der Arbeit mitein­ander zu essen.

Lasse Rhein­gans ist der Ansicht, dass Acht-Stunden-Tage in der heutigen Wissens­ge­sell­schaft nicht mehr zeit­gemäß sind. Benö­tigt werden Menschen mit einer hohen kogni­tiven und krea­tiven Kompe­tenz, die ausge­ruht, zufrieden und moti­viert besser abrufbar ist als erschöpft und gestresst. Im Zeit­alter der Digi­ta­li­sie­rung funk­tio­nieren die herkömm­li­chen Arbeits­mo­delle aus den 1950er-Jahren also nicht mehr wie bisher.

Das Arbeits­zeit­mo­dell von Lasse Rhein­gans wurde mitt­ler­weile ausge­zeichnet und erhielt den ersten Platz als Unter­nehmen des Jahres (Netz­werk Xing, New Work Award 2019).

Fazit

Eine wach­sende Anzahl an Studien zeigt auf, dass insbe­son­dere die jüngeren Gene­ra­tionen eine Work-Life-Balance wünschen und auch zuneh­mend einfor­dern. Der viel­fach zu verzeich­nende Mangel an gut ausge­bil­deten Fach­kräften legt nahe, dass eine hohe Bindung für die Unter­nehmen wesent­lich ist. Eine Möglich­keit, um einer­seits Arbeits­pro­zesse effi­zi­enter zu gestalten und ande­rer­seits Arbeits­kräfte zu unter­stützen, ist die Verkür­zung der Arbeits­zeit. Hier­durch werden nicht nur krank­heits­be­dingte Ausfälle und lang­fristig vorkom­mende Burn-outs verrin­gert, sondern auch die Zufrie­den­heit und Moti­va­tion der Ange­stellten verbessert.Die viel­fach geführten Diskus­sionen zu Arbeits­zeit­mo­dellen sollten sich gene­rell nicht allein an wirt­schaft­li­chen Krite­rien orien­tieren. Glei­cher­maßen rele­vant sind die gesund­heit­li­chen Risiken durch lange Arbeits­zeiten, die zu erheb­li­chen Ausfällen und damit verbun­denen Kosten führen. Gesunde und weit­ge­hend entspannte Kräfte hingegen sind die wich­tigste Ressource für jedes Unter­nehmen. Sie stärken nicht nur das Unter­nehmen selbst, sondern ermög­li­chen aufgrund der effi­zi­en­teren Arbeits­weise häufig eine damit verbun­dene Umsatz­stei­ge­rung.

Die Coro­na­pan­demie zeigt zusätz­lich auf, dass eine Verän­de­rung der Arbeits­mo­da­li­täten für die meisten Unter­nehmen nicht mehr verzichtbar ist. Die gegen­wär­tige Krise wird die Arbeits­welt voll­ständig und in lang­fris­tiger Hinsicht verän­dern.


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