15. Mai 2021

Die Zukunft der Arbeit

Stimmen aus der Arbeits­for­schung behaupten, die Zukunft der Arbeit habe 2020 begonnen. Nie zuvor in der Geschichte der Arbeits­welt hat ein einziges Ereignis die Art und Weise, wie in Unter­nehmen und Bran­chen gear­beitet wird, so auf den Kopf gestellt wie die Coro­na­pan­demie. Home­of­fice statt Büro, Video­kon­fe­renzen statt Dienst­reisen, Cloud-Soft­ware statt Papier­aus­tausch – in nur wenigen Monaten hat ein Virus dafür gesorgt, dass viele Firmen über alle Bran­chen hinweg ihre Arbeits­mo­delle radikal trans­for­mieren mussten. Doch die Frage bleibt, ob sich nach einem Abflauen der Pandemie wieder der bishe­rige Arbeits­alltag einstellt oder ob die erzwun­gene Verän­de­rung der Arbeits­welt von Dauer sein wird.

Mehr Home­of­fice, weniger Firmen­of­fice?

Die wohl augen­schein­lichste Verän­de­rung in der Arbeits­welt durch Corona ist die Verla­ge­rung der Arbeit in das Home­of­fice. Vor gut einem Jahr wurden von heute auf morgen Millionen von Ange­stellten von ihren Firmen dazu ange­halten, ihre Arbeit aus dem Home­of­fice zu erbringen. Was in vielen Firmen bis dato undenkbar schien, wurde mit einem Schlag durch eine Natur­ka­ta­strophe erzwungen.

Für viele Unter­nehmen stellte dies einen enormen Kraftakt dar: Zahl­lose Firmen waren inner­halb kürzester Zeit dazu gezwungen, eine bislang nicht vorhan­dene Infra­struktur für Remote Working und die Zusam­men­ar­beit von örtlich verstreuten Beschäf­tigten aufzu­bauen.

Alle Betei­ligten beschäf­tigt die Frage, ob die Arbeit im Home­of­fice nur ein vorüber­ge­hender Zustand ist oder ob es mit dem Ende der Pandemie eine Rück­kehr zum Firmen­of­fice geben wird. Eine pauschale Antwort auf diese Frage gibt es nicht. Zu unter­schied­lich sind die Voraus­set­zungen in den Unter­nehmen und zu verschieden sind die Wünsche und Vorstel­lungen der Einzelnen.

Eines hat die erzwun­gene Home­of­fice-Phase jedoch gezeigt: Die Arbeit von zu Hause aus funk­tio­niert häufig besser als gedacht. Unter­nehmen, die bisher aus verschie­denen Gründen auf einer Präsenz­pflicht im Büro bestanden, wurden durch die Coro­na­pan­demie eines Besseren belehrt. Moderne Cloud-Soft­ware und Video­kon­fe­renz­sys­teme machen die (Zusammen-)Arbeit im Home­of­fice wesent­lich unkom­pli­zierter, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. In vielen Firmen wird es in Zukunft wahr­schein­lich ein deut­lich stär­keres Neben­ein­ander von Home- und Firmen­of­fice geben.

Mehr virtu­eller, weniger physi­scher Kontakt?

Die massivste Auswir­kung hatte die Corona-pandemie auf die Art und Weise, wie Menschen mitein­ander kommu­ni­zieren. Während vor der Pandemie Dienst­reisen in den meisten Unter­nehmen auf der Tages­ord­nung standen, fand der Reise­ver­kehr durch die Verbrei­tung des Virus ein jähes Ende. An die Stelle des physi­schen Kontakts trat der virtu­elle über E-Mails, Tele­fo­nate, Chats und vor allem Video­kon­fe­renzen. Obwohl bereits vor der Pandemie die tech­ni­schen Möglich­keiten dazu bestanden, bescherte das Coro­na­virus Video­con­fe­ren­cing-Soft­ware einen unglaub­li­chen Schub.

Dieses Rad wird sich aller Voraus­sicht nach nicht mehr zurück­drehen lassen – zu groß sind die Vorteile von Video­kon­fe­renzen in Bezug auf gesparte Reise­kosten und Reise­zeit. Obwohl viele Menschen Dienst­reisen als ange­nehmen Teil ihrer Tätig­keit ansehen, wird ihre Bewil­li­gung zukünftig stär­kere Argu­mente erfor­dern und der Nutzen eines physi­schen Kontakts genauer geprüft werden. Bran­chen­un­ab­hängig werden sich alle daran gewöhnen müssen, häufiger auf dem Bild­schirm als persön­lich in Verbin­dung zu stehen.

Mehr Dezen­tra­lität, weniger Zentra­lität?

Bereits seit einigen Jahren exis­tiert in den meisten Berei­chen der Wirt­schaft ein Trend zur Dezen­tra­li­sie­rung der Arbeits­orte. Diese Entwick­lung hat durch Corona eine starke Beschleu­ni­gung erfahren.

Wo früher noch werk­täg­lich acht Stunden lang an einem Ort gear­beitet wurde, verbringen Millionen von Menschen nur noch einen Teil ihrer Arbeits­zeit an einem Firmen­standort. Die rest­liche Zeit arbeiten sie von unter­wegs, im Home­of­fice, in Hotels, Konfe­renz­zen­tren oder an sons­tigen Arbeits­orten.

Zusätz­lich schießen seit einigen Jahren soge­nannte „Co-working Spaces“ wie Pilze aus dem Boden. Dabei teilen sich Selbst­stän­dige aller Art mitein­ander und teil­weise auch mit Firmen­teams Büro­raum. Die Ausge­stal­tung dieser Co-Working-Spaces ist in der Praxis sehr unter­schied­lich. Während einige eine Art Groß­raum­büro mit großen (geteilten) Schreib­ti­schen anbieten, verfügen andere über getrennte Klein- und sogar Einzel­büros.

Für viele Berufs­tä­tige bringen Co-Working- Spaces eine Reihe von Vorteilen mit sich:

  • Die Arbeits­plätze können im Regel­fall sehr flexibel und für kurze Zeit­räume ange­mietet werden. Dieses Arbeits­platz­mo­dell ist beson­ders für Selbst­stän­dige, die keine stabile Auftrags­lage haben und häufig reisen, sehr attraktiv.
  • Für Unter­nehmen bieten sie den Vorteil, dass sie über einen gewissen Zeit­raum Teams aus unter­schied­li­chen Berei­chen unkom­pli­ziert zusam­men­ar­beiten lassen können.
  • Zudem herrscht in Co-Working-Spaces in der Regel eine sehr offene und aufge­schlos­sene Atmo­sphäre, wodurch der Austausch von Kontakten und Ideen wesent­lich erleich­tert wird.
  • Nicht zuletzt locken Co-Working-Spaces mit zahl­rei­chen krea­tiven Ausstat­tungs­merk­malen, die das Arbeiten erleich­tern und ange­nehmer machen. Von Bars und Cafés über Lounges und Konfe­renz­räume bis hin zu Gärten und Sport­mög­lich­keiten finden sich hier oftmals Dinge, die in Firmen­büros nicht zum Stan­dard gehören.

In einer immer stärker frag­men­tierten Arbeits­welt kommen Co-Working-Spaces dem Bedürfnis nach mehr Flexi­bi­lität entgegen und werden sich in den kommenden Jahren weiter etablieren – nicht nur bei Selbst­stän­digen.

Work-Life-Balance

Mehr Work-Life-Balance, weniger Stress?

Die Work-Life-Balance ist eines der wich­tigsten und umstrit­tensten Schlag­worte der modernen Arbeits­welt. Nur sehr schwierig zu messen, spielt sie für viele Menschen eine zentrale Rolle.

Während die Verla­ge­rung ins Home­of­fice vielen Menschen zum ersten Mal in ihrem Berufs­leben tagtäg­lich vor Augen führt, wie gut sich „Work“ und „Life“ mitein­ander verein­baren lassen, stellt es für viele Fami­lien mit Kindern oft eine große Heraus­for­de­rung dar. Für die einen ist der Wegfall des tägli­chen Arbeits­weges eine große Erleich­te­rung, für die anderen ist das Arbeiten von zu Hause aus eine Qual.

Inwie­fern das Corona-bedingte Home­of­fice zu einer Verbes­se­rung der Work-Life-Balance beiträgt oder einen zusätz­li­chen Stress­faktor darstellt, wird sicher­lich Gegen­stand von Studien sein. Fakt ist jedoch, dass beson­ders die jüngeren Gene­ra­tionen (die soge­nannten „Millen­nials“ und die „Gene­ra­tion Z“) der Work-Life-Balance eine wesent­lich größere Bedeu­tung beimessen als ältere Gene­ra­tionen. Um auf dem Arbeits­markt attraktiv zu bleiben, müssen sich Unter­nehmen mit diesem Thema zwangs­läufig ausein­an­der­setzen.

Mehr Wohn­raum, weniger Büro­raum?

Digi­ta­li­sie­rung, Home­of­fice, Co-Working- Spaces, mobiles Arbeiten – all diese Trends tragen dazu bei, dass die Bedeu­tung von Wohn­raum in Zukunft zunehmen und die von Büro­raum abnehmen wird. Dieser Trend wird auch in der Post-Corona-Zeit unge­bro­chen sein.

Viele Unter­nehmen werden sich Gedanken darüber machen müssen, wie sie in Zukunft mit ihren Büro­flä­chen umgehen. Klar ist, dass zahl­lose Firmen ange­sichts neuer Arbeits­formen bei gleich­blei­bender Zahl an Beschäf­tigten nicht mehr den Flächen­be­darf der Vergan­gen­heit haben werden. Dies ist einer­seits eine will­kom­mene Gele­gen­heit, Miet- und Fixkosten einzu­sparen, bringt jedoch große Heraus­for­de­rungen bei der Neuor­ga­ni­sa­tion der Arbeit mit sich.

Die voraus­sicht­liche Verrin­ge­rung der Nach­frage nach Büro­flä­chen wird in Zukunft dazu führen, dass wieder mehr Flächen für den Wohnungs­markt zur Verfü­gung stehen. Die Trans­for­ma­tion der Arbeits­welt bietet Städten und Stadt­be­zirken die einzig­ar­tige Chance, neue Lebens-, Arbeits- und Verkehrs­kon­zepte auszu­pro­bieren, die ein deut­li­ches Plus an Lebens­qua­lität bringen. Die Ideal­vor­stel­lung von Quar­tieren, in denen Wohn­raum, Arbeits­plätze, Einkaufs- und Frei­zeit­mög­lich­keiten nur einen Katzen­sprung vonein­ander entfernt liegen, ist keine Zukunfts­musik mehr. Das alte „Ideal“ von räum­lich getrenntem Wohn­raum am Stadt­rand und Arbeits­raum im Stadt­zen­trum hat in der neuen Arbeits­welt ausge­dient: Das tägliche Pendeln von Millionen von Menschen ist kein Zukunfts­mo­dell.

Dieser Trend eröffnet auch länd­li­chen Gebieten neue Perspek­tiven. Gingen die meisten Experten noch vor wenigen Jahren davon aus, dass die Zukunft der Arbeit in urbanen Gebieten statt­finden wird, könnte sich der länd­liche Raum als großer Gewinner der aktu­ellen Entwick­lungen heraus­stellen.

Mehr Computer, weniger Menschen?

Noch nie zuvor in der Geschichte der Mensch­heit hat eine tech­no­lo­gi­sche Revo­lu­tion das Leben derart schnell radikal verän­dert wie die Digi­ta­li­sie­rung. Sie erfasst alle Gesell­schafts- und Wirt­schafts­be­reiche, von Politik und Verwal­tung über Bildung und Arbeit bis hin zu Kommu­ni­ka­tion und sozialer Inter­ak­tion.

Die wach­sende Vernet­zung von Menschen und Maschinen und die enorm gestie­gene Leis­tungs­fä­hig­keit von Compu­ter­sys­temen haben eine radi­kale Trans­for­ma­tion aller Bran­chen und Berufs­gruppen in den kommenden Jahr­zehnten zur Folge. Intel­li­gente, selbst­ler­nende Netz­werke, die die Analyse riesen­großer und komplexer Daten­mengen in Sekun­den­schnelle möglich machen, stehen erst am Anfang ihrer Entwick­lung. In nicht allzu ferner Zukunft werden diese Systeme auch in Berei­chen Einzug halten, in denen bislang von der Digi­ta­li­sie­rung wenig zu spüren war. Während sich heut­zu­tage eher Berufs­gruppen mit einfa­chen Tätig­keiten, z. B. im Trans­port­wesen und der Logistik, Sorgen um ihren Job machen müssen, werden in wenigen Jahren auch medi­zi­ni­sche oder rechts- und wirt­schafts­be­ra­tende Berufe Konkur­renz von Compu­tern bekommen. Bereits heute können es intel­li­gente Systeme in Einzel­be­rei­chen mit dem Menschen aufnehmen. Die Zukunft der Arbeit wird sich ohne Zweifel zugunsten des Compu­ters entscheiden.

Auch bei der Digi­ta­li­sie­rung wirkt Corona wie ein Brand­be­schleu­niger. Um zu über­leben, müssen sich nun viele, auch klei­nere Firmen, mit z. B. Cloud-Soft­ware oder Online­shops ausein­an­der­setzen. So hat Corona die Digi­ta­li­sie­rung vieler Unter­nehmen um einige Jahre vorge­zogen. In Sachen Wett­be­werbs­fä­hig­keit ist dieser Prozess sogar als Vorteil zu sehen, denn der Digi­ta­li­sie­rungs­ex­press rast und wird noch schneller werden. Wer zu spät aufspringt, wird mit dem Wett­be­werb bald nicht mehr mithalten können.

Fazit: Die Zukunft der Arbeit wird viel­schich­tiger als ihre Vergan­gen­heit

Die Zukunft der Arbeit wird wesent­lich viel­schich­tiger und facet­ten­rei­cher als ihre Vergan­gen­heit. Die drei wesent­li­chen Trends – Dezen­tra­li­sie­rung, Digi­ta­li­sie­rung und Work-Life-Balance – führen zu einer zuneh­menden Diver­sität der Arbeits­mo­delle. Menschen werden abwech­selnd an verschie­densten Orten, zu unter­schied­li­chen Zeiten und in unter­schied­li­chen Konstel­la­tionen arbeiten. Dank Cloud-Systemen und Video­kon­fe­renzen spielt es nahezu keine Rolle mehr, ob sie in Berlin, Los Angeles oder Tokio ihren Job machen. Dies führt zu einer höheren Flexi­bi­lität und Frei­heit hinsicht­lich ihrer Arbeits- und Wohn­orte sowie ihrer Arbeits­zeiten. Die Zeit der Nine-to-five-Jobs gehört in vielen Berufen bereits der Vergan­gen­heit an. Ob alle diese tech­no­lo­gi­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Entwick­lungen wiederum eine Verbes­se­rung der Work-Life-Balance bewirken, muss die Zukunft noch beweisen.


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